Am Ende

Das Jahr beginnt sich zu neigen und ich beginne mit End-Jahres-Aktivitäten. Überlegt, den Stahl-Weihnachtsbaum bald aus dem Keller zu holen, der 1. Advent ist schon am 19. November (Edit: Stimmt gar nicht, da beginnt der Trierer Weihnachtsmarkt, das habe ich vertüddelt). Durch meinen Stapel an Notizbüchern gegangen und überlegt, welches das Tagebuch 2022 werden soll. Lasse es Twitter entscheiden, letztes Jahr war es Facebook. Überlege, ob ich mir das Passionsblumen-Parfum selbst zu Weihnachten schenken soll und was ich mir sonst noch schenken wollen würde. Ein Weihnachtsgeschenk für meine Mutter gemacht, ein bemalter Kaffeebecher, den sie sich gewünscht hat. 2021 kommt mir im Rückblick so ereignislose vor, obwohl das nicht stimmt, ich bin einige neue Dinge angegangen. Ich frage mich immer noch, ob die Pandemie einen Schaden im Selbstwirksamkeitserleben hinterlässt, jedenfalls kommt es mir so vor.

Gestern A.’s Geburtstag gefeiert, sie macht Dumplings, die M. nicht essen will, aber die wir beide lieben. Er ist auf irgendeinem Fußballspiel im Saarland und so können wir trinken und kitschige, englische Fernsehserien sehen. Ich bin auch dankbar für die Tipps, denn Winterzeit ist Serienzeit. Im Sommer schaue ich so gut wie nichts und einen Fernseher habe ich seir 20 Jahren nicht mehr. Aber im Winter grabe ich mich gern ein und schaue abends ein paar Folgen. Ich bringe A. rote Nelken und ein Kochbuch, weil sie sich eines gewünscht hat, und offensichtlich treffe ich die richtige Wahl. Bücher sind immer schwer als Geschenk. A. ist jemand, dem ich durch die Pandemie näher gekommen bin. Du bist eine der wenigen guten Sachen dieser Pandemie, sage ich ihr. Auf dem Rückweg besoffen einen Schlüssel verloren, den ich aber zum Glück auf dem Parkplatz vor dem Haus wieder finde. Die dazugehörige Vespa hatte schon am Vormittag den Geist aufgegeben, irgendwie nicht mein Tag.

Heute Morgen Telefonat mit S., die mich beim Erste-Hilfe-Ausbilder-Kurs anmelden wird. Ein Freizeitpark möchte darüber hinaus einen Kurs für seine Angestellten mit speziellen Tier-Risiken, aber vermutlich nicht vor Frühjahr. Das Ehrenamt verbandelt mich mit Trier, das sich immer noch (10 Jahre!) oft wie ein Hotelzimmer anfühlt. Die DLRG gehört zu den besseren Erfahrungen, die ich gemacht habe.

Da unten

Ein Blick aus dem Hotelfenster Mitte Juni in Bonn. Der Moment als sich die Welt ver-rückt anfühlte. Ihr lügt euch in die Tasche, dachte ich, wenn ihr denkt, dass alles wieder in Ordnung kommt. Wie ihr da lauft in eurem Glauben.

Was später war, das habe ich nur geträumt. Als Wunsch in meinem Kopf – jemand, der mitkommt. Neblig die Erinnerung & flieg jetzt fort, ja?

Du hast halt nichts als Scheiße im Kopf.

(Edit: Als würden sie an mir ziehen, so vom Nebel weg: Liegt eine Postkarte von M. im Kasten und P. schreibt aus L.A. Sie will nächsten Sommer nach Deutschland kommem und mich sehen. Mich. Nächsten Sommer.)

(Edit 2: Das wesentliche Gefühl 2021: Dass man sich durch dieses Leben durchprügelt.)

Im Schwarzwald

Es regnet aus Eimern, aber die Gästekarte ermöglicht es einem im ganzen Schwarzwald den Nahverkehr zu nutzen, sogar bis Basel, und ich war ja noch nie in der Schweiz (Sowieso scheint der Nahverkehr hier sehr menschenfreundlich zu sein, Besitzer einer Zeitkarte (z.B. Jobticket) können in den Sommerferien ebenfalls in ganz Baden-Württemberg herumfahren). Meine Leseliste richtet sich nach dem, was mir begegnet: Indisches Springkraut, Sonnenblumen(felder) und roter Sandstein (das Rathaus in Basel). Das indische Springkraut wird auch Bauernorchidee genannt und tatsächlich muss ich als erstes an Orchideen denken, als es mir am Wegesrand begegnet. Es stammt vom indischen Subkontinent, wurde im 19. Jahrhundert als Zierpflanze hier eingebürgert und bildet nun ein Neophyt, der als invasive Art vielfach bekämpft wird. Tatsächlich wuchert es an allen Ecken und Enden, ist aber sehr schön.

Während der Zugfahrt nach Basel fahre ich an vielen Sonnenblumenfeldern vorbei. Ihre Samen wurden 1552 von spanischen Seefahrern nach Europa gebracht. Ich lerne, dass diese sehr viel Kohlendioxid binden, eine große Pflanze bindet pro Tag das in einem Raum von 100 Kubikmetern vorhandene Kohlendioxid. Sie haben ihr maximales Wachstum bei einer Temperatur von 20 Grad, was erklärt, dass meine in diesen Jahr, in dem der Sommer mehr ein Herbst ist, so spärlich wachsen. Darüber hinaus richten sie sich nach der Sonne und nach Mittag aus, sind also Kompasspflanzen (andere Kompasspflanzen drehen sich bewusst von der Sonne weg, um nicht zu verbrennen). Diese Sonnenanbetung nennt sich Heliotropismus.

In Basel selbst beeindruckt mich vor allem das Rathaus, das aus rotem Sandstein gebaut wurde. Trotz Dauerregen leuchtet es intensiv im Stadtbild. Ich vermute, dass es sich um roten Mainsandstein handelt, der in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg vorkommt. Recherchen ergeben, dass es sich um Wiesentaler (Schopfheim) Sandstein handelt und der Mainsandstein nur zum Flicken verwendet wurde. Sandstein ist ein Sedimentgestein, dass zumindest aus 50% Sandkörnern besteht. Er besteht also aus Kleinsttrümmern verwitterter und abgetragener Gesteine und entsteht durch Verkittung. „Durch den Auflastdruck der jüngeren, überlagernden Ablagerungen sowie durch Ausfällung von Mineralen, die im Meer- oder Grundwasser gelöst sind, oft auch durch die im Sandstein selbst enthaltenen Minerale kommt es zur Verfestigung (Diagenese) des Sandes. Dieser Prozess läuft unterschiedlich schnell ab und dauert zwischen wenigen Jahrzehnten und mehreren Millionen Jahren.

Was sich bei dem nassem Wetter sehr bewährt hat: Ein zusammenfaltbarer Wasserkocher und ein zusammenfaltbarer Becher für den Tee zwischendurch. Was für ein August.

Frankfurt

Der Mensch braucht Rituale und ich chinesischen Dumplings von Aunt Zongs Noodle Bar am Frankfurter Hauptbahnhof. Dauerhafte Frankfurt-Erinerungen: Die erste Wikimania 2005, die Zeit als P. hier ihr Referendariat gemacht hat & ich öfter „kurz“ für’s Wochenende von Hamburg nach Frankfurt fuhr, unsere Besuche im Palmengarten, die hausgemachte Limonade bei Die-Kuh-die-lacht. Später dann Offenbach, die Dachterase in dem Haus von R. Und eben chinesischen Dumplings. Ich mag sie am liebsten gekocht, es gibt sie aber auch dedämpft, fritiert oder gebraten. Die Herstellung ist denkbar einfach, der Teig besteht nur aus Mehl, heißem Wasser und Salz. Und Dumplings und Empanadas brachten mich auf die Teigrolle, die 10 Mal besser ist als ein Nudelholz.

Frankfurt: Presroi, Kellerkind and Zenogantner preparing the welcome desk at Wikimania 2005. Photo: Dirk Ingo Franke CCBYSA 2.0

Die Flutkatastrophe sitzt mir im Nacken und ich habe zu wenig geschlafen, aber wegfahren hilft für Abstand. Ein paar Mal notiere ich die Tage „Ich wil einen Liebhaber und ans Meer fahren.“, weil mir alles zu viel ist. Praktischweise kann man auch ohne Liebhaber nach Frankfurt fahren, es wäre mir auch zu viel, jetzt noch einen auftreiben zu müssen. Im Palmengarten soll der Titanenwurz blühen, lese ich auf der Hinfahrt. Also muss ich dort hin. Ein bisschen erschreckt mich, dass er nach Aas riechen und Wärme produzieren soll – damit er Käfer anlockt, die für seine Bestäubung sorgen. Der Palmegarten feiert darüber hinaus sein 150jähriges Jubiläum (Er wurde seinerzeit aus tropischen Baum- und Pflanzenbestände der Orangerie von Schloss Biebrich gegründet).

Titanenwurz im Frankfurter Palmengarten

Am nächsten Tag angekommen, nehme ich den Geruch vor allem als süßlich wahr. Ich habe keine Ahnung wie Aas riecht. Ich war schon mehrere Male in der Pathologie, aber Menschenleichen riechen deutlich strenger und sind vom Geruch her kaum zu ertragen. Besonders beeindrucken mich anschließend vor dem Tropengewächshaus diw Nelumbo nucifera, die indische Lotusblume. Ich hatte mir Lotusblumen wie Seerosen immer wassernah vorgestellt, aber die Blüten ragen auf Stengeln weit aus dem Wasser heraus. Wunderschön und seltsam die Lotussamenkapseln, die wie Duschbrausen aussehen.

Indische Lotusblume

112

Es passiert natürlich dann, wenn man es nicht erwartet. Ich wollte nur ein Softeis mit Schokoladenüberzug und grübelte gerade, wann ich das letzte Mal eines gegessen hatte. 

„Können Sie bitte einen Krankenwagen anrufen, meiner Freundin geht es nicht gut“.

„Was hat sie denn?“ frage ich deppert & denke noch ich muss das (C)ABCDE-Programm abspulen.

„Es geht ihr nicht gut, können Sie bitte einen Krankenwagen rufen?“

Das Adrenalin blockiert meinen Orientierungssinn, ich sollte eigentlich wissen, wo ich bin, zumindest weiß ich, dass der Ort das erste ist, wonach sie fragen werden. Die 4 (oder waren es 5?) W’s gibt es so nicht mehr, sondern nur noch 2: W(o) und W(arten auf Nachfragen).

„Wo sind wir hier?“, frage ich. „Spitalerstraße“. Ich weiß natürlich, dass ich gegenüber des Hauptbahnhofes bin, aber der Straßenname (den jeder kennt) ist einfach weg.

„Ja, also dann 112…“.

„Hier Feuerwehr Hamburg, bitte legen Sie nicht auf“ „Ja, Hallo – wo sind Sie?“. 

„Hauptbahnhof, Ecke Spitalerstraße“.

„Auf welcher Seite der Spitalerstraße?“

Die Frage verwirrt mIch, ich dachte, das wäre klar. Aber vielleicht hat er mich nicht verstanden.

„Ist da ein Nike-Laden?“, fragt der Mensch in der Leitung.

„Apollo… Ja, da ist ein Nike-Laden“.

Dann fängt er an, Symptome abzufragen. Schwindel? Schmerzen in der Brust? Sie hat ein Brennen in der Brust. Sie solle sich aufsetzen, jedenfalls mit erhöhtem Oberkörper. Nichts essen, nichts trinken, keine Medikamente.

„Wie könne wir Sie erreichen?“

„Sehen Sie nicht meine Nummer im Display?“

„Doch, können wir die nehmen?“

„Ja“.

„Wir schicken jemanden, wenn es schlimmer wird, rufen Sie bitte nochmal an“.

„Haben Sie gesagt, wie lange es dauert?“ fragt ihre Freundin.

„Nein, sage ich, aber meisten so 10-15 Minuten“.

Ich weiß, dass in Hamburg die gesetzliche Hilfsfrist bei 8-10 Minuten liegt, aber auch, dass das nicht immer machbar ist. Vielleicht sonntags schon. Ich bin unsicher, ob ich hätte lügen sollen. Da ihre Freundin bei ihr ist, ist meine Rolle irgendwie unklar. Normalerweise hätte ich die Patientin jetzt beruhigt und sage auch jetzt mehrmals: „Es kommt gleich jemand“. Abschirmen muss man am Hauptbahnhof nicht groß jemanden, hier könnten alle in Ruhe sterben, denke ich, ohne dass es irgendeinen interessieren würde.  Wahrscheinlich passiert das auch so. Mir fällt auf, wie lange einem die Zeit vorkommt und auch, dass man eigentlich gar nicht weiß, _was_ man dann eigentlich genau reden soll, wenn der Patient bei Bewusstsein ist. Ich denke die ganze Zeit, naja, sie ist bei Bewusstsein, dann ist es ja erst mal nicht soooo dramtisch, aber das kann ich natürlich nicht sagen. Auch die blöden Gedanken die man zwischendurch hat, wie „Verpasse ich meinen Zug?“. Ich winke dem Rettungswagen als er um die Ecke fährt. Als der erste Sanitäter aussteigt, fängt sie an zu weinen. Die Anspannung muss größer gewesen sein als ich dachte. „Wir sind gleich da“, sagt er. Ich kläre kurz, dass ich angerufen habe, beuge mich nochmal über sie uns sage: „Alles Gute für Sie“ und ziehe mich dann zurück. Brauche selbst noch ca. 30 Minuten um wieder runter zu kommen. Schreibe einer DLRG-Kollegin per WhatsApp. Ob es mir gut ginge, fragt sie, und wenn ich reden wolle, solle ich anrufen. So, wie es sein sollte.

An M.

Liebe M., gerade ist Zeit Dir zu schreiben. Dieses 20-Jahre-Antville-Ding, das gHack da losgetreten hat, versetzt mich urplötzlich in eine Zeitreise, von denen ich ja schon einige hatte in den letzten Monaten. Wahrscheinlich ist das diese Midlife Crises von der immer alle reden. Hat mir auch keiner gesagt, dass das so hefitg ist uns was das alles hoch spült. Besonders mochte ich (natürlich) den Text der stattkatze und den von Praschl. Und ich habe auch ein bisschen was gekritzelt. Nicht zuletzt: Das Ende von Marcus Text. So soll es sein. Hoffentlich.

Dornröschen wird im Schlaf gern unterschätzt: Sie hat die Dauer auf ihrer Seite. Als Google+ (was war das nochmal?) vor die Hunde ging, schaute ich nach: Bei Antville war die ganze Vergangenheit vorrätig, in gutem, gesundem Schlaf. Die Plattform funktionierte wie eh und je. Das tut sie auch heute.

Den wenigen Leuten, die das 20 Jahre lang ermöglicht haben, sei hier einmal in aller Form und von Herzen gedankt. Ich stelle den Sekt kalt für den Tag, an dem Facebook zerschlagen ist, aber Antville immer noch besteht.

https://20jahre.antville.org/stories/2298923/

Seltsamer Zufall, dass das Jubiläum und die Texte kurz nach meiner eigenen Entscheidung kamen, selbst wieder ein Weblog aufzumachen, oder? Ich hatte all die Phantomschmerzen, die sich in vielen der Texte finden. Jammere ich der Jugend nach? Auch: Bemerkenswerte Aussage im Text von Knörer: „200.000 Blogs in Deutschland, die Monat für Monat etwa zwei Millionen Blogposts veröffentlichen und damit auf eine Reichweite von rund 800 Millionen Page Impressions kommen.“ Es gibt sie also noch, die Blogosphäre. Sie spielt aber in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle mehr.

Traf mich gestern zur Mittagspause mit L. in der Stadt. Du erinnerst Dich an sie? Currywurst auf die Hand und Unterstellen bei Galeria Kaufhof, es schüttete aus Eimern. Sie hadert mit ihrem beruflichen Werdegang, zu dem mal wieder eine Entscheidung ansteht und bat um meine Meinung. Ich nehme solche Rollen ja gerne an, während ich mich gerade darum drücke, mich um meine eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Ich weiß auch gar nicht, warum ich diesbezüglich seit einer Weile so prokrastiniere* Jedenfalls bewundere ich an ihr, sowas offensiv einzufordern. Ich bin ja eher eine Einzelgängerin, die alles mit sich selbst abmacht.

O. schickte mir per WhattsApp einen kurzen, handschriftlichen Brief auf Arabisch. Vollkommen unmöglich, das zu entziffern. Aber ich druckte ihn aus, rahmte ihn und hängte ihn über das Bett im Schlafzimmer. Lass auch Du bitte bald von Dir hören, ohne andere Stimmen kreist man ja doch zu viel um sich.

Yours
A.

* Das ist gelogen: Ich weiß es natürlich. Bei dem Versuch, mich um mich selbst zu kümmern zu oft gescheitert. Das klappt bei anderen oder ist dann eben nicht so schlimm, das Scheitern. Ich fürchte es, so dass ich gerade lieber gar nichts anfange. Nicht für mich.

20 Jahre Antville

Ich glaube, was im Rückblick tatsächlich auffällt, ist, dass ich viele, die ich damals gelesen habe, heute immer noch lese. Man liest sich. Immer noch. Man hat sich ein halbes Leben lang gelesen. Ich habe mehr Alt-Blogger, denen ich auf Twitter folge als Wikipedianer, obwohl ich dort jahrelang extrem aktiv war. 

Ich kam zum dem, was man heute Bloggen nennt durch ein Seminar über Selbstzeugnisse an der Uni und ich recherchierte zu Online-Tagebüchern. In einem anderen Seminar stritt ich mich mit dem Professor darüber, ob ich auf seinem Lernmanagement-System (damals neu und der heiße Scheiß) eigene Texte publizieren dürfe. Ich durfte nicht und so kaufte ich mir ein Buch und lernte eine Beschreibungssprache: HTML. Und so kam ich zu meinem eigenes erstes Online-Tagebuch. Ich hatte zu Hause keine Internetverbindung, fuhr also eine halbe Stunde U-Bahn, um via FTP etwas in die Umlaufbahn zu pusten. Dann entdeckte ich Webringe. Und damit meinen ersten Blogger, der damals noch gar kein Blogger war: Bov Berg.

Wie genau ich zu Antville kam, weiß ich gar nicht mehr. Der Name meines Blogs kam von meiner damaligen Arbeitsstätte, die im Souterrain lag: Kellerkind, Bogenallee 11. Kebo11. Irgendwann zog ich auf eine eigene Domain, da aber auf Antville alles ziemlich locker war, überließ ich mein Blog einfach Herrn Prisac, der da eine Weile weiter schrieb. 

Woran ich mich erinnere: An den Selbstmord von blue und Praschls langen Text hinterher. Der ewige anödende Streit, was ein Weblog nun sein sollte und wozu es zu gebrauchen wäre. Und Godanys schöner Satz dazu: „Was ein Weblog ist, ist mir eigentlich wurscht, dies ist jedenfalls meins“. Blogmich05 und die CD von Kris, die ich immer noch habe. Und KerLeone las vor und ich las auch vor. Die Großkopferten lasen natürlich auch vor, Hammerschmitt und so. Und da saß ich dann mit der stattkatze auf einer Decke auf dem Fußboden und war hinterher mit Ronsens und Jens Scholz in irgendeinem Berliner Laden, soweit ich weiß.  

Persönlich mochte ich an den Blogs die (oft) langsamen Gespräche, die sich über Tage hinzogen. Einer schrieb etwas, der erste Kommentar vielleicht eine Stunde später, weitere stiegen ein, wieder eine zeitlang später, das zog sich dann so die ganze Nacht, manchmal über Tage. Überhaupt, dass man Texte redigieren kann. Und über einen längeren Zeitraum schreibt. Obwohl es natürlich auch die schnellen Dinger gab (die wären heute Schneckenlauf). Und vielleicht war man auch einfach nur jung: Neue Menschen waren interessant, neue Themen waren interessant und das ganze Ding war neu und man wusste nicht in welche Richtung es läuft. Man war Pionier und man war die Generation, die diese Digitalisierung kennzeichnete und die sie voran trieb.

Irgendwann verschwanden immer mehr Blogger Richtung Twitter, ich meldete mich auch an, ließ den Account aber 9 Jahre lang liegen. Es war nicht mein Ding. Hektisch und fragmentiert, mit unerträglichen Aufregungswellen. Mittlerweile habe ich dort auch Kurztexte schätzen gelernt, wenn der/die Poster gute Erzähler*innen sind. Und Menschen verbandeln sich da immer noch, wie sollte es auch anders sein.

Antville erinnert mich vor allem an eine bestimmte Zeit, in der das Netz noch unverbraucht war (oder man es im Nachhinein so schönredet). Dafür: Danke, Antville, will always remember you!

Schön tödlich

Ich war gleich verliebt in ihn, wollte keinen von den großen Marken, Montblanc, Pelikan, Lamy. Überhaupt alle wunderschön, die von Waldmann, manche mit Diamanten zu irrwitzigen Preisen über 2000 Euro. Aber alle handgemacht. Meiner war natürlich viel, viel billiger – aber mit Gravur. Ich will etwas besitzen, dass ich jahrzehntelang behalte. R. bestärkt mich darin, er hatte seinen zum Diplom bekommen. Die Deutsche Welle drehte 2014 einen kurzen Beitrag über das Unternehmen, darin sieht man die spanabhebende Technik beim Gravieren. Einen längeren Beitrag gibt es auch vom SWR, darin wird gezeigt, wie so ein Füller überhaupt in Handarbeit entsteht. (Randbekmerkt: Die ganze Serie SWR Handwerkskunst ist sehenswert: Wie man einen Strandkorb macht, wie man ein Pferd beschlägt, wie man eine Perücke knüpft…)

Waldmann Voyager

Der Füller kommt zur rechten Zeit: Das erste Tagebuch für 2021 ist fertig und das neue will beschrieben sein. Beim Bloggen merke ich: Das Redigieren von Texten hat mir sehr gefehlt. Überhaupt: Texte liegen lassen und über ein paar Tage schreiben – Twitter, my ass. Und ich schreibe ausnahmlos gern in Weblog-Software, warum auch immer. Ein Word-Dokument würde es auch tun, fühlt sich aber anders an. Und es geht nicht um das Veröffentlichen. Vielleicht finde ich’s noch raus.

Tagebuch 1 / 2021

Eine weitere Entdeckung: Der Rote Fingerhut. Diese herrliche, große Pflanze mit den nickenden Blüten. Alles an ihr ist giftig, zwei bis drei Blätter können einen Erwachsenen töten. Doch eigentlich hätte ich die Woche nur mich vergiften mögen. Ich habe mich verschätzt, was meine Kräfte angeht. Unerwartet reißt etwas auf, was erledigt geglaubt und die Schmerzen machen mich für ein paar Tage sprach- und ratlos. Im Nachhinein verwundert über die falschen Annahmen, die sich in meinen Kopf festbeißen, wie so ein kleiner, giftiger Hund. Und die alten Geschichten, die noch viel hartnäckiger sind und die sich nicht abschütteln lassen. Als wären sie zusätzliche Gliedmaße, verbogen, aber irgendwie zu einem gehörend. 25 Jahre schon. Langsam schleiche ich voran, denn noch ist alles wund. Man weiß ja nicht, wie ernst das ist. Nur eine kurze Verspanntheit, rede ich mir ein. Die kann man übersehen. Das würde alles belassen wie es ist. Ich bin gut in Anfängen, aber nicht so gut in Enden. Und ich habe für eine Normalität gekämpft die letzten Monate.

Roter Fingerhut auf meinem Balkon

Wasser & Seife

Als die Pandemie neu war, wusch ich mir zu viel die Hände und meine Haut kaputt. Mosul Eye schimpfte und sagte, ich dürfe nur gute Seife verwenden: Aleppo-Seife. Ich hatte noch nie davon gehört. Ich nahm an, dass ich sie in Deutschland sowieso nicht bekomme und vergaß das Ganze. Bis ich vorgestern wieder auf einen Seifen-Tweet stieß. Und siehe da: Man kann sie bei Amazon bestellen. Zuweilen findet man sie auch auf Weihnachtsmärkten, riet mir eine syrische Freundin.

Aleppo-Seife

Die Seife besteht aus Olivenöl und Lorbeeren und wird traditionell zwischen November und März produziert und zwar auf folgende Weise, wie Wikipedia weiß:

Über Bodenkesseln auf offenem Feuer wird Olivenöl bis zu drei Tage unter häufigem Rühren auf etwa 200 ° Celsius gesiedet. Zur Verseifung werden schrittweise Wasser und Soda-Asche zugeführt. Dabei wird das Olivenöl in Glyzerin und Natriumsalz aufgespalten. Kurz vor dem völligen Aussalzen wird das Lorbeeröl hinzugegeben, dessen Anteil üblicherweise zwischen zwei und 40 Prozent, selten bis 60 Prozent der Ölmenge variiert

Die Seife ist quasi geruchlos und schäumt nur leicht, aber man merkt sofort wie ölig sie ist. Die Haut trocknet tatsächlich wenig aus.

Freibad Mertesdorf

Erst Seife, dann Wasser: Großes Glück bereitete mir die erste Schwimmrunde in diesem Jahr. Mein Hausbad wird renoviert, also fuhr ich ins Umland. Die ersten Bahnen lassen mich meinen Wal-Zustand mehr wahrnehmen als mir lieb ist, aber nach 30 Minuten tun die Muskeln so weh wie sie weh tun sollen. Wale sind vermutlich ganz gute Schwimmer, fällt mir beim Tippen auf, freundlich auch, jedenfalls lässt man Touristen mit ihnen schwimmen. Freundlich sind auch die Menschen um mich herum. Überall so eine Erleichterung doch wieder ein Stück im Leben zu sein.

Gardenia jasminoides

Bevor es auf die Reise geht noch einmal den bunten Mangold vom Balkon. Mit Knoblauch, Chiliöl, Zwiebeln und Salz. Vor dem Fenster das erwartete Gewitter. Die Balkontür offen. Regenrauschen und gute Luft. Auf eben jenem Balkon hockt seit ca. 1 1/2 Wochen zu allen Gelegenheiten ein Vogel und flötet. Obwohl ich kein Futter habe, nur nette Aussicht. Frau Stattkatze weiß Rat: Das Tierchen flötet um sein Revier und der Platz ist günstig, um das Nest gut zu beobachten. Wenn eine Katze kommt klingt es wie Herzinfarkt, sagt sie

Mangold, bunt

Die Gardenie hat ihre zweite Blüte bekommen. Ich mag das dunkle Grün und wie das Weiß sich davon abhebt. Und dass die Blüten fest und dick sind, wie Blätter: Ich lerne: Gardenien sind von Indochina bis Taiwan und dem südlichen Japan verbreitet. Ihr chinesischer Name ist Zhi Zi und ich weiß, dass die Assoziation an die österreichische Kaiserin bekloppt ist, aber ich kann nicht anders. Alle Ratgeber stimmen mir zu, schwer zu pflegen sei sie. Man solle froh sein, wenn überhaupt mal eine Blüte aufgehe. Sehr launisch. Ich lerne auch: Die Gardenie ist in allen Teilen giftig und wirkt abführend. In China war sie bereits seit dem Jahr 960 kultiviert und kam 1652 über Südafrika in die Niederlande. Die Polynesier auf den pazifischen Inseln verwenden die duftenden Blüten in ihren Blumenketten, die „Ei“ genannt werden.

Gardenia jasminoidis

Ich mag das Langsame dieses Abends, aber ich muss noch ein Taxi bestellen.