Oktober-Fetzen

  • Gebannt starrt man auf Bildschirm und Mobiltelefon und folgt dem Herdentrieb des Menschen. Die einen versuchen mit den aberwitzigsten Konstruktionen offensichtliche Massaker wegzuleugnen und diskutieren, ob Babys „nur“ ermordet oder eben doch geköpft wurden. Die anderen finden, dass eben jene Massaker die Einhaltung internationalen Kriegsrechts überflüssig macht. Am beunruhigensten: Die Gefahr eines Flächenbrandes spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Dabei und daneben: Ein Haufen Welterklärer. Es ist verständlich, dass die Menschen sich über das was passiert austauschen wollen, aber das Ganze wirkt auch wie ein riesiger Verstärker, der die Horden aufputscht. In der Hilflosigkeit zeigt man sich gegenseitig seine Toten und sagt: Schaut her. Ich selbst komme mit dem Tatbestand, dass vor Ort tatsächlich Juden bedroht werden nicht besonders gut klar. In Berlin wird eine Haustür mit einem Judenstern markiert. „Was machen“ ist die Devise. Handeln als Schutzzauber. Ich besuche eine Solidaritätsdemo und nehme Kontakt zur jüdischen Gemeinde vor Ort auf. Ob. man was brauchen würde. Man bedankt sich mehrmals, gute Gedanken seien genug, die Polizei kümmere sich. Schlaf und Konzentration sind schlecht, beides ungünstig, wenn man sich sinnvoll ablenken will.
  • Ich habe einen auf Midlife-Crisis gemacht, sagte er. Naja. Der alte jüdische Friedhof ist geschlossen. Später gibt es coffeinfreien Kaffee. Er ist einer von den Guten.
  • Glücklich die, die sich eindeutig einer Seite zuordnen können, aber manche haben Freunde hüben wie drüben. Die Frage, wie man mit den Betroffenen konkret sprechen kann ohne zu verletzen. Auch merken: Kaum jemand in meinem realen Umfeld, der diesen Erfahrungshintergrund teilt. Alle haben eine Meinung, aber kaum jemand Kontakt mit tatsächlich Betroffenen. Vorsichtig Brücken bauen. Perspektivisch denken scheint einem in dieser Sitaution aberwitzig, aber vielleicht gerade deshalb. Schicke einem irakischen Freund ein Blumenfoto, er bittet es einem gemeinsamen Bekannten (einem Rabbi in Maryland) zu senden. Auf Mastodon schreibt jemand aus Jerusalem:

These days, I see a lot of Jews, who feel that their voice is not heard, their concerns not addressed, their lives not valued and their grievance not recognized; I see a lot of Palestinian Arabs, who feel that their voice is not heard, their concerns not addressed, their lives not valued, and their grievance not recognized.

Ilya אש Ash
  • Ich hatte den Inder noch nie besucht. Wir sind beide erschöpft, wenn auch aus anderen Gründen. Wir hoffen, dass der Abend uns von den Problemen ablenken wird, doch kreisen und kreisen und kreisen wir darum herum. Sie gibt das wieder, was sie aus der Presse von dem Konflikt weiß, ich spreche mit ihr über ihre Arbeit.