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Epheser 5: Da geh ich lieber wandern

Nun also das Wochenende an dem in der Leseordung Epheser 5 dran ist:

Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi. Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist – er hat sie als seinen Leib gerettet. Aber wie nun die Gemeinde sich Christus unterordnet, so sollen sich auch die Frauen ihren Männern unterordnen in allen Dingen. Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Gemeinde geliebt hat und hat sich selbst für sie dahingegeben, um sie zu heiligen.

Während sich das in der Gottesdienst-Ordnung vermutlich nicht ganz vermeiden lässt, lesen die meisten, die freiwillige Impulse geben an diesem Sonntag alternativ Johannes 6,60, aber es gibt es bei den Kapuzinern in Frankfurt ernsthaft Menschen, die denken, dass sie das so umdeuten können, dass dabei irgendetwas sinngebendes für das zwischenmenschliche Miteinader herauskommen könnte. Kündige daraufhin kurz und schmerzlos meine Dauerspende, auch wenn ich nicht ganz weiß wie das eigentlich zustande kommt. Andere aus dem Haus sind da wohl weiter. Hier der Geheim-Tipp: Man kann sich auch einfach so auf Augernhöhe unterhalten, dazu muss sich niemand irgendwem unterordnen, völlig egal in welche Richtung. (Wer 2024 noch ernsthaft Argumente gegen diesen Text brauche mag auch bei Annette Jantzen vorbei schauen). Mir persönlich stößt vor allem die widerliche Verquickung von Gewalt und Liebe auf, die allen nahegeht, die solches erfahren haben. Zum Glück am Samstagabend noch ein Gespräch mit F. darüber, wie die Kirche es immer wieder erfolgreich schafft die Gläubigen los zu werden. Das hilft ein bisschen. F. sagt, die katholische Kirche muss so weit sein, dass Leute wie wir darin noch Platz haben.

Statt Sonntagsmesse dann eine Wanderung mit N. Wir sind zum ersten Mal zusammen unterwegs und das klappt ziemlich gut und reibungslos, was Tempo, Redebedürfnis, Abstimmungen betrifft. N. hat Mann und Kind bei den Schwiegereltern geparkt und wir laufen zunächst zu den Irreler Wasserfällen. Anschließend geht es anhand einer verwirrenden Ausschilderung Richtung Teufelsschlucht. Ausgerechnet hier fühle ich mich Gott dann wieder ein wenig näher (Ach, da ist er also…) . Unterwegs treffen wir eine ganze Reihe an anderen Wanderern, die ebenfalls von der Beschilderung verwirrt sind: Ist das Weg 54? Kommen wir hier wieder zurück? Nachdem wir die Teufelsschlucht durchquert haben klärt uns ein Schild auf, dass wir eben die Teufelsschlucht durchquert haben.

Die Wanderung hat genau die richtige Länge, aber im Bus dösen wir beide weg.

O. meldet sich nach ein paar Monaten, was mein Herz wärmt. Er ist in Assisi. Wie seltsam sich die Dinge zusammenfügen. Ich erledige die Hotelbuchungen für nächsten Ostern. Es wird eine schönes Tauffest, denke ich.

甘茶 Hydrangea macrophylla var. thunbergii und ein Menschenfeind

S. bringt mir eine japanische Tee-Hortensie. Ihre Blätter sind sehr süß, mehr als Zucker, sagt sie. Man kann die Blätter fermertieren oder nur so einen Tee daraus kochen. Er muss lange ziehen, so 20 Minuten. Ich kannte die Pflanze bis jetzt nur als Zierpflanze, die Blütenstände sind wunderbar, weiß und lila. Auf dem Balkon sind die Kornblumen durch, ins Straßenbeet setze ich noch einmal Ziersalbei und ein paar Disteln.

Frustriert und gefühlt einsam diese Tage. Die AFD liegt mittlerweile bei 20%, die Gespräche darüber ziehen mich eher runter. Viel Gejammer und Schuldzuweisungen an die anderen, wenig Kampfgeist. Die Linken geben der Mitte die Schuld, die Mitte gibt den Linken die Schuld, wie gut, dass niemand irgendetwas ändern muss. Und man hätte ja, aber die anderen… Thomas Krüger, der Chef der Bundeszentrale für Politische Bildung sagt: Eine Demokratie ohne aktive Demokratinnen und Demokraten – das geht eben nicht. Man kann sie nicht nur an Berufspolitiker delegieren, Natürlich haben nicht alle die gleichen Ressourcen, was Kraft und Zeit angeht, aber wenn jeder die Woche nur ein bis zwei Stunden in politisches oder zivilgeselschaftliches Engagement investieren würde, wäre schon vieles besser. Das muss nichts zwangsweise eine Partei sein. Maile mit M. und trete ihm auf die Füße, er verspricht das auf einer seiner nächsten Lesungen zu thematisieren. Immerhin. Viel Ekel vor den Alt-Linken, die schon seit Ewigkeiten nichts mehr machen wollen. Noch mehr Ekel vor den gut ausgebildeten Akademikerinnen und Akademikern, die es besser wissen könnten und die oft bessere Ausganslagen haben, was Ressourcen angeht. Die aber außer Arbeiten und Privatisieren nichts machen wollen. Ekel auch vor Jenen, die außer Aufregungen auf Twitter nichts zustande bringen und denken, das wäre politische Arbeit. Auch immer weniger Lust, Zeit mit solchen Leuten zu verbringen. Ich bin kein Menschenfreund zurzeit, fürchte ich. Und privat ist auch nichts, was mich wärmen würde.

(Edit: Was mich diese Woche schockierte: Elisabeth wurde von iranischen Milizen im Irak entführt)

Hamburg, Februar

J. sagt die Verabredung für Samstag ab. Ihre Weigerung sich krank schreiben zu lassen hat ihr eine Lungenentzündung beschert. Ihre Schwester bestand auf einen Arztbesuch und nun ist sie eben doch zu Hause. Mit der Mutter im Stadtpark. Das Laufen ist ihr mühselig, wie jetzt alles mühselig ist. Aber ihre Stimmung ist stabil und das erleichtert mir den Besuch. Die Cafes sind alle in Winterpause, das kenne ich so nicht, vielleicht eine Folge von Corona. Mit Bruder und Schwägerin im Altonaer Museum, eine Ausstellung über Künstlerpostkarten. Ich lerne, dass das Altonaer Museum über 500.000 Bildpostkarten hat. Das war mir nicht bekannt.“Ja, es passieren ja auch immer weniger Geschichten um einen herum“ sagt die Schwägerin als wir über Ideen für Zeichnungen sprechen. Sie ist kaum älter als ich und mir macht das Angst. Ich für meinen Teil brauche ja eine Geschichte, ich kann mit reinen Formen etc. nix anfangen, vielleicht als Handwerksübung, das ja. Die Schwägerin verweist mich auf sketchbook.hamburg, ich solle ein Skizzenbuch machen und da einreichen. Aber ich mag das Postkartenformat und es hält mich auch bei der Stange. Ich hatte mal ein Skizzenbuch angefangen, das schlief aber sehr schnell wieder ein. Ich möchte auch gar nicht Bestandteil einer Ausstellung sein, merke ich dann.

Wieder daheim: Der Italienisch-Kurs geht vielleicht nicht weiter, was mir im Moment ganz recht ist. Die vielen Personen in mir, mit all ihren Interessen zerreiben mich gerade. Auch daraus eine Postkarte gemacht. Später sind mir mindesten noch 2 weitere Personen eingefallen (Schwimmerin, Internetlebensform), die auch zufrieden gestellt werden wollen. Weitere Samen besorgt. Festgestellt, dass die Samen der Dattelpalme mindestens 2-5 Monate brauchen, um zu keimen. Außerdem gelernt: Bäume kommunizieren über Pilze und Springspinnen träumen. (Unbedigt zeichnen: Die träumende Springspinne).

Es herrscht Gedrängel

Nächste Woche München. Ich habe ein Date mit Kerleone. Nach 18 Jahren, man fasst das gar nicht. Grabe alte Posting über blogmich05 aus und die wunderbaren Fotos von Ralph Segert. Immer gedacht, man sollte das 2025 wiederholen, aber sowas lässt sich nicht wiederholen und wenn, wäre es nur wie so ein blödes Klassentreffen. Außer irgendwer hätte eine Idee wie man ein cooles Klassentreffen macht (Will jedenfalls nicht akzeptieren, dass wir jetzt alle alt und uncool sind). Dann noch ein Treffen mit Herrn G. Auch große Freude. Dass neue Leute hinzukommen ist ja vielleicht auch ein Zeichen, dass man noch nicht komplett verstaubt ist.

22.11.22

Frau Mama sagt, 22.11.22 wäre ein schönes Datum zum Bloggen. So sei es.

Die kleinen Datteln der Kanarischen Dattelpalme lassen sich einpflanzen und neue Palmen daraus ziehen, sagt der Wanderführer und ich stecke drei in die Hosentasche. Wenn man das Fruchtfleisch entfert, bleiben Samen übrig, die wie Kaffeebohnen aussehen. Man macht aus den Früchten einen Sirup der wunderbar zu Ziegenkäse schmecken soll. Früher nannten sie ihn Palmhonig, das hat die EU verboten, da keine Bienen im Spiel sind – dann eben Palmsirup. Zum Essen sind die Früchte zu klein und fleischlos, werden aber an Tiere verfüttert. Mir tun die Beine nach der Wanderung weh, ich bin nicht wirklich eingelaufen.

Die Stifte, die ich mitgenommen habe, gefallen mir nicht und so suche (und finde) ich eine Papeleria am Hafen. Der Besitzer erklärt mir in hektischem Englisch, dass er keine Kartenzahlung akzeptiere, für mich aber eine Ausnahme mache. Natürlich kaufe ich auch noch ein Notizbuch, das ich nicht brauche (Hallo Maarten). Ich mag den Typen und seinen Laden und bevor ich wieder abreise, kaufe ich sicher noch einmal etwas, das ich nicht brauche.

Die Insel ist voller ältlicher Hippies, die irgendwie in den 80ern hängen geblieben sein müssen. Ich lande auf dem Rückweg ernsthaft in einem Laden mit gebatikten Klamotten, der nach Patschuli riecht. Am Nachmittag sitze ich auf den Balkon und male arabische Wörter auf Karten, Kalligraphie mag ich das nicht nennen. Ein Arbeiter „schält“ die Palmen am Straßenrand mit einer Motorsäge. Das dient dem Insektenschutz. Die können sich in den „Schuppen“ einnisten und Schaden anrichten. Anderen wäre das zu wenig Urlaubsfeeling, aber ich mag die Arbeitsatmosphäre. Als er bei „meiner“ Palme landet verkrümele ich mich ins Wohnzimmer, der herüberwehende Palmenrindenstaub macht weiter zeichnen unmöglich. Später die Runden im Pool absolviert. ich schwimme die Normzeiten für den Rettungsschwimmer nach Corona immer noch nicht.

Randbemerkt: Ich könnte hier auch gut überwintern. Gibt wenig, was mich im Moment zu Hause hält.

Netzleben: Ich will den Twitter-Account eigentlich dicht machen, tue mich aber schwer, einige zu verlieren: Frau Mama, Harm, Fab, Opa Antifa, den alten Saed. Aber es nervt schon beim Lesen: Nicht ein Tag ohne leidige Aufregungsdiskussion (Fußball, Binden). Ich bin so alt, ich will da keine Lebenszeit mehr drauf verschwenden (und im Urlaub schon gar nicht). Ein wenig schwappt schon nach Mastodon rüber, schalte alles stumm, was mich damit vollmüllt. Schön: Poux und South, die sich vor einigen Jahren von Twitter verabschiedet haben, sind auf Mastodon wieder da.

Der Rest des Oktobers

Es ist der 29. Oktober abends, ich esse draußen auf dem Balkon und lasse es dunkel werden. Der Verkehr rauscht irgendwo dahinten, aus dem Stadion ab und an ein Schrei. Es ist immer noch warm. Frau Mama schrieb heute über diesen seltsam warmen Herbst in Berlin. Textsorten, die es die nächsten Jahren geben wird, von denen, die sich noch erinnern, was vorher war.

Ich habe das ganze Wochenede bis einschließlich Dienstag frei. Jetzt stellt sich auch die Ruhe ein. Was ich denn mit dem langen Wochenende machen würde, werde ich gefragt. Nüschts, sage ich und finde das größartig. Schreibe mit G. auf Threema, die ich sehr lange nicht gesprochen habe und bei der Zusammenfassung dessen, was alles passiert ist, merke ich, dass es mir gut geht. Jetzt. An diesem Punikt.

Elon Musk hat Twitter gekauft. Viele, denen es schon lange nicht mehr passte, nehmen das als Anlass nach Mastodon zu wechseln, ich auch. Ich werde weiterhin ab und an lesen, vor allem der internationalen Kontakte wegen. Aber vielleicht soll der Blick auf wieder mehr ins Regionale gehen, vielleicht ist jetzt die Zeit, who knows.

Wir können den Oktober jetzt zuklappen, der November wird eine Reise bringen, aber erst an seinem Ende. Bis dahin darf es gern etwas still bleiben.

Halber Oktober.

Die Herbst-Handlungen: Briefe und Karten schreiben (und zeichnen), Bücher lesen, Serien auf Netflix schauen, Kürbis kaufen, ein Gulasch kochen, Liedtexte von Fairouz auswendig lernen. Ich schreibe einen längeren Brief an M. und realisiere, in was für einer Mausradbewegung ich mich eigentlich befinde. Ausdünnen also. So weit das möglich wäre: An den Wochenenden noch eine Sanitätsübung, ein Erste-Hilfe-Kurs, ein Besuch in Hamburg.

An einem Freitagabend stolpere ich per Zufall über Tank 9 – ein Industrial Dancer und Youtuber, der offensichtlich irgendwann komplett von der Bildfläche verschwunden ist. Ich hatte ihn schon vergessen. Noch nach Jahren laden irgendwelche Leute seine Videos hoch. Irgendwann schreibe ich eine Hommage an alle, die das Netz mit ihrem Scheiß wunderbar machen. Trotz alledem. And to hell with the silcence we are living in.

Traurige Musik-Nachrichten: Die Auflösung von Mashrou Leila. Die Band hat mich gut 10 Jahre begleitet. Sie war der Sound des Arabischen Frühlings. Die Morddrohungen gegen die Band (auch gegen das Publilum), Corona, die Bankenkrise im Libanon. Die beiden letzten Konzerte, die ich besucht habe, waren Mashrou Leila Konzerte. Einmal Heidelberg, einmal Köln. Ich war mir so sicher die Band noch einma zu sehen. Zwei Wochen später stirbt dann Ahmed al Shaiba bei einem Autounfall in New York. Er war ein bekannter Oud-Spieler in der amerkanischen Jemeniten-Community. Im August hatte er sein erstes Album veröffentlicht.

Telefonieren, WhattsApp-Nachrichten schreiben. Die Mutter erinnert sich nicht, was sie letzte Woche noch wollte, bei Bruder und Schwägerin ist immer alles schwierig. Ich soll das alles koordinieren (oder mache es, weil sonst nichts zustande kommt), 600km weiter weg.

Habitustransformationen: Was ich machte, als ich entfristet wurde: 1. Mich in den Personalrat wählen lassen (Yalla Klassenkampf!) & 2. ehrenamtlich Sanitäterin werden. Was man mir häufig übel nimmt, ist nicht die Herkunft aus bildungsfernen Schichten, sondern die Weigerung, das zu kaschieren. Also das doch zumindest mit Scham zu behandeln.

25 Jahre später: Natürlich hat er zugenommen, ist älter geworden. Wir treffen uns am Schanzenbahnhof, obwohl wir beide uns hier gar nicht mehr auskennen. Mir kommt seine Sprache seltsam vor, als würde er irgendwie nuscheln. Ich mag nicht fragen, ob er etwas hat, ein Gebiss vielleicht. Eineinhalb Stunden später sagt er: Ich hatte letztes Jahr einen Schlaganfall. Es sei nicht so wie alle immer sagen, man würde es gar nicht merken. Er hätte einen lauten Knall in seinem Kopf gehört, dann hätte er sich übergeben. Zum Glück waren die Kinder da, er kam schnell ins Krankenhaus. So nah sind diese Dinge jetzt also. Danke, dass Du an mich gedacht hast, sagt er später, als wir am Schlump auseinander gehen. Die Begegnung hängt mir noch nach.

Am nächsten Tag Familie dann: Ich habe ein schlechtes Gewissen, was meine Ungeduld betrifft. Und dass ich mehr für sie Liebe haben sollte. Sie hatte sicher auch keine Lust meine Windeln zu wechseln. Aber alte Menschen und kleine Kinder strengen mich an. Und sie ist eben auch in Vielem schwierig und verklärt ihre Kompliziertheit als Eigenständigkeit. Und ihre Negativität kostet mich bei jedem Treffen Kraft. Mein Bruder ist schlecht, meine Schwägerin ist schlecht, ihr Lebensgefährte ist schlecht, der Urlaub war schlecht, I. ist schlecht und S. sowieso (undsoweiterundsoweiter). Zum Schluss schon lustlos die Fahrkarte für die nächste Runde gebucht. Wieder denken: Ich sollte froh sein, wenn ich sie überhaupt nochmal lebend sehe.

Schönes und Entspannendes: Ein Hörbuch auf Youtube von einem Menschen, dem ich per Zufall auf einem Kongress über den Weg lief. Spannende Geschichte, die sich selbst nicht überernst nimmt. Ich komme noch immer nicht über den wildgewordenen Elefanten hinweg :D. Seltsame Begegnung sowieso: Auf dem Kongress erst gedacht: Gute Güte, was ist das denn für ein blöder Schönling? Google sagt mir dann: Achso, der ist gar nicht blöd. Wie funktioniere ich eigentlich? Spannendes zu Lern- und Lernbiographien auch. Biographieforschung hat mich ja schon immer interessiert und Lernen sowieso. Jaja, schon gut,ich tue Buße…

Hamburg, Ende Oktober I

Unerledigtes schafft nur ein paar Stunden Schlaf und in dem Netzloch zwischen Koblenz und Frankfurt versuche ich noch einiges zu regeln. Letztlich löst sich alles in Wohlgefallen auf. Wir treffen uns neben dem Rathaus, bei Backfisch und Fassbrause. Richtige Fassbrause, nicht das Zeug, das heutzutage als solche verkauft wird. Wir streifen Jobs, Kollegen, die Reisen, die wir machten und wie es den Eltern geht. Wir schlendern wir am Wasser, auf der Alster rudern welche im Dunkeln an der beleuchteten Fontäne vorbei. Es ist warm und  es gibt noch Eis. Neben uns ein paar Schwäne, über uns Kraniche, die nach Süden ziehen. Und immer ein bisschen Wind. Wir haben gar kein Foto von uns gemacht, schreibt J. hinterher. Lass uns das beim nächste Mal tun bevor wir dement werden.

Samstag treffen mit A. Sie wird ihr Krankenschwester-Dasein im März unterbrechen, um ein 4-wöchiges Praktikum in einer Schloss-Verwaltung zu machen. A. stalkt seit Jahren alle Burgen und Schlösser, die sich so finden lassen. Ihr Mann fragt, was sie machen würde, wenn sie sie behalten wollen. Na, da bleiben, sagt sie. Wir wandern an unserem alten Institut vorbei, wo wir uns vor 25 Jahren kennengelernt haben. In der Straße entdecken wir ein Haus, das irgendwie sehr Rudolf-Steiner-mäßig aussieht und uns nie aufgefallen ist. Es ist wohl auch eins, wie mir kundige Personen auf Twitter mitteilen. Wir kaufen am Bahnhof Butterkuchen, da ich den im Süden schlecht bekomme – ebenso wie Grünkohl – und essen auf der Treppe vor dem CCH. A. möchte gerne nach Köln, den Melaten-Friedhof sehen, wir verabreden lose etwas für Dezember. Sie ist eine der wenigen Personen, die stundenlang reden können ohne mit damit auf die Nerven zu gehen. Auch unser Reise-Faible ist derselbe. Sie muss zur Schicht, ich noch ein paar Dinge besorgen. Hier ist alles eine Erfrischung für die Seele. Jedes Mal. Wie ich das immer vergesse, wenn ich wieder im Süden bin.

Den Rest des Tages faul im Hotel verbringen, Haare machen, Nägel machen, Tagebuch schreiben, Kekse essen, lesen. Eine wichtige Mail: Die Weiterbildung zur Erste-Hilfe-Ausbilderin startet im Januar. Eine shock(!)ierende Nachricht auf Facebook: Der Schockwellenreiter ist mit Schlaganfall im Krankenhaus. Ich mag gar nix bloggen.

Köln hier & da

Auf dem Rückweg vom Meer eine Nacht in Köln verbracht, im Motel One, an das ich seit der WikiCon 2014 angenehme Erinnerungen habe. Ich mag den Innenhof mit den Backsteinbauten und den über alles wachsenden Pflanzen. Am nächsten Tag treffe ich Edmond Goncourt, den ich seit vielen Jahren eher mit einem halben Auge verfolge und der mir vor allem durch seinen eigenweltlichen Blick beim Fotografieren aufgefallen ist, denn seine Texte habe ich nie wirklich gelesen. – Wie schräg das ist, wie man sich selbst im Vorfeld gleich raus sortiert. Immer noch. (Das ist zu abgehoben, das verstehst Du eh nicht usw.). Dabei sind sie eigentlich ganz schön, die Texte. Merke ich… jetzt. – Das Arbeiterkind in mir steht dann auch nervös in der Bahnhofshalle: Ob denn mein bildungsbürgerliches Know How für Smalltalk reichen wird? Ich habe Glück und der echte Goncourt ist geerdet genug, um mich zu entspannen und gebildet genug, um nicht zu langweilen. Sowieso: Was für ein wunderbarer Mensch. Zu Hause merke ich, dass mich seine (wieder) Text-Existenz irgendwie stört. Wäre lieber einfach weiter geschlendert, so plaudernd und schauend und nicht wissend, wo genau ich eigentlich bin. Dafür gibt mir die Unterhaltung einen Ruck, doch noch einen Baum für O. über Kölner Grün pflanzen zu lassen, etwas, das ich schon seit 1 1/2 Jahren plane und immer wieder aufschiebe, natürlich auch wegen der Kosten. Aber wenn Menschen wie Goncourt viel Geld für totes Holz ausgeben können, kann ich das doch auch für lebendiges, oder? (Argumentiere ich mit mir selbst).

[Break: Das erste, das ich sehe als ich die Arbeits-E-Mails öffne: Mein Lieblings-A., der Hausmeister, ist tot, nicht mal 60.]

Heute: E. und R. sind mit Wohnmobil ein paar Tage von Ehrenfeld nach Trier gekommen. Letztes Jahr waren beide mein erster Besuch nach dem Frühjahrs-Lockdown, sehr dankbar dafür. Dieses Jahr waren beide die ersten, die ich seit Monaten umarme, wieder sehr dankbar. Es stellt sich raus, dass sie auf der Flucht vor den Wirren der letzten Monate sind, welche sich über den Tisch eines thailändischen Imbiss vor mir ausbreiten. Irgendwo muss der Kram ja hin. Misstrauisch beäugen sie die Zukunft, „was-denn-da-jetzt-noch-kommt“. Nix, sage ich, ab jetzt wird alles besser. Und seltsamerweise fühlt es sich für mich tatsächlich auch so an. Ich rede noch was von SelfCare, weiß aber jetzt schon, dass E. sich nicht dran hält. Was die beiden auszeichnet: Sie sind die einzigsten meiner Bekannten, die die Trierer Stadtwerke besichtigt haben, um die Architektur zu fotografieren. Und Mariahof. Eben doch die besseren Touristen. Kommt bald wieder.

An M.

Liebe M., gerade ist Zeit Dir zu schreiben. Dieses 20-Jahre-Antville-Ding, das gHack da losgetreten hat, versetzt mich urplötzlich in eine Zeitreise, von denen ich ja schon einige hatte in den letzten Monaten. Wahrscheinlich ist das diese Midlife Crises von der immer alle reden. Hat mir auch keiner gesagt, dass das so hefitg ist uns was das alles hoch spült. Besonders mochte ich (natürlich) den Text der stattkatze und den von Praschl. Und ich habe auch ein bisschen was gekritzelt. Nicht zuletzt: Das Ende von Marcus Text. So soll es sein. Hoffentlich.

Dornröschen wird im Schlaf gern unterschätzt: Sie hat die Dauer auf ihrer Seite. Als Google+ (was war das nochmal?) vor die Hunde ging, schaute ich nach: Bei Antville war die ganze Vergangenheit vorrätig, in gutem, gesundem Schlaf. Die Plattform funktionierte wie eh und je. Das tut sie auch heute.

Den wenigen Leuten, die das 20 Jahre lang ermöglicht haben, sei hier einmal in aller Form und von Herzen gedankt. Ich stelle den Sekt kalt für den Tag, an dem Facebook zerschlagen ist, aber Antville immer noch besteht.

https://20jahre.antville.org/stories/2298923/

Seltsamer Zufall, dass das Jubiläum und die Texte kurz nach meiner eigenen Entscheidung kamen, selbst wieder ein Weblog aufzumachen, oder? Ich hatte all die Phantomschmerzen, die sich in vielen der Texte finden. Jammere ich der Jugend nach? Auch: Bemerkenswerte Aussage im Text von Knörer: „200.000 Blogs in Deutschland, die Monat für Monat etwa zwei Millionen Blogposts veröffentlichen und damit auf eine Reichweite von rund 800 Millionen Page Impressions kommen.“ Es gibt sie also noch, die Blogosphäre. Sie spielt aber in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle mehr.

Traf mich gestern zur Mittagspause mit L. in der Stadt. Du erinnerst Dich an sie? Currywurst auf die Hand und Unterstellen bei Galeria Kaufhof, es schüttete aus Eimern. Sie hadert mit ihrem beruflichen Werdegang, zu dem mal wieder eine Entscheidung ansteht und bat um meine Meinung. Ich nehme solche Rollen ja gerne an, während ich mich gerade darum drücke, mich um meine eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Ich weiß auch gar nicht, warum ich diesbezüglich seit einer Weile so prokrastiniere* Jedenfalls bewundere ich an ihr, sowas offensiv einzufordern. Ich bin ja eher eine Einzelgängerin, die alles mit sich selbst abmacht.

O. schickte mir per WhattsApp einen kurzen, handschriftlichen Brief auf Arabisch. Vollkommen unmöglich, das zu entziffern. Aber ich druckte ihn aus, rahmte ihn und hängte ihn über das Bett im Schlafzimmer. Lass auch Du bitte bald von Dir hören, ohne andere Stimmen kreist man ja doch zu viel um sich.

Yours
A.

* Das ist gelogen: Ich weiß es natürlich. Bei dem Versuch, mich um mich selbst zu kümmern zu oft gescheitert. Das klappt bei anderen oder ist dann eben nicht so schlimm, das Scheitern. Ich fürchte es, so dass ich gerade lieber gar nichts anfange. Nicht für mich.