Der Tod meiner Mutter

Mein Bruder schreibt eine WhatsApp ich möge dringend anrufen. Meine Mutter wäre im Krankenhaus. Die Nachbarin von gegenüber hätte sie nachts um halb 3 auf dem Sofa liegen sehen und den Rettungswagen gerufen. Morgens um 6 meldet sich dann die Polizei bei meinem Bruder. Das Krankenhaus sagt, es wäre eine massive Hirnblutung, es wäre nur eine Frage der Zeit. Sie war die Woche vorher noch im Urlaub, mein Bruder und meine Schwägerin am selben Tag noch zum Kaffee da, abends um 10 telefoniert sie noch mit der Schwester ihres Lebensgefährten. Ich sage alle Termine ab und versuche am anderen Morgen eine Krankschreibung zu bekommen. Ich lerne: Mein Hausarzt ist seit 1.1. in Rente. Ich habe keinen Nerv mir jetzt einen neuen zu suchen und nehme Urlaub. Auf der Höhe Wittlich, gegen 11:30 Uhr, ruft mein Bruder an: Das Krankenhaus hätte angerufen, es ginge zu Ende, er solle kommen. Ich weine zwischen Wittlich und Koblenz. Gegen 17 Uhr meldet er sich wieder, sie sei seit Stunden auf einem extrem niedrigen Level stabil, der Puls läge bei 25-40. Ob ich ins Krankenhaus (St, Georg) kommen solle? Nein, sagt er, das mache keinen Sinn. Wir treffen uns am Hauptbahnhof und gehen essen. Sollte ich nicht hingehen, frage ich. Nein, sagt er, mache das nicht. Das sei kein schöner Anblick. Wenn sie morgen noch lebt gehe ich, sage ich. Mach das nicht, sagt er wieder. Er hat 6 Stunden mit ihr gesprochen, ihr vorgesungen. Wir sind ratlos, was wir machen sollen, sollte sie einfach weiter so auf diesem Niveau dämmern. Abends um 9 kommt dann der Anruf, sie wäre jetzt tot. Wir lernen schnell, dass Sterben komplizierter ist als angenommen. Da sie verwitwet war brauchen wir für die Sterbeurkunde die Sterbeurkunde meines Vaters sowie ihre Heiratsurkunde. Während Finanzen und Versicherungen gut in Ordnern sortiert sind fehlen sämtliche Familienunterlagen. Mein Bruder schwört, dass es eine braune Ledermappe mit den Unterlagen gibt, aber wir finden sie nicht (Wir finden die ominöse Mappe eine Woche später hinter einer Picknicktasche unter dem Bügeleisen.). irgendwo zwischen Bergen von Kontoauszügen aus den 90er-Jahren finden wir die Sterbeurkunde unseres Vaters und später auch einen Auszug aus dem Familienbuch. Das Ausstellen der Sterbeurkunde dauert in Hamburg zurzeit 6 Wochen, vorher kann sie nicht bestatet werden. Wir bereiten alles vor, was vorzubereiten ist, aber eigentlich ist dieser Zustand unhaltbar. Nicht nur, dass man im Endeffekt ohne Sterbeurkunde nichts kündigen kann, man kann auch innerlich nicht abschließen, wenn man seine Toten nicht bestatten kann. Die Tage sind voll: Freunde und Verwandte informieren, Listen der zukünftigen Kündigungen zusammenstellen und rausfinden wer, was braucht, mit der Bank reden, mit dem Bestattungsinstitut sprechen, Grabstätte auswählen, Beileidswünsche entgegen nehmen, alte Briefe und Bilder durchsehen, zum Steinmetz gehen, mit den Nachbarn sprechen, Stichpunkte für die Trauerrede machen (wir reden selbst), ihren Lebensgefährten seelisch betreuen, der Frau, die den Rettungswagen rief Blumen bringen, den Keller leer räumen, die Schränke leer räumen, Pakete mit ihren Dingen an mich selbst senden, Teile per Auto zu meinen Bruder schaffen. Nach 1 1/2 Wochen fahre ich einen Tag an die See. Ich laufe bis zum Strand und schlafe sofort ein. Labskaus zum Mittagessen, dann zurück an den Strand, ich schlafe wieder sofort ein. Mein Bruder berichtet, es sei ihm auch so gegangen. Die Trauer läuft in erster Linie als Müdigkeit mit. Nur als ich Lindenbergs „Komet“ im Radio höre, fange ich plötzlich an zu heulen. Keine Ahnung, warum gerade da. Ich übernachte die ganze Zeit in ihrer Wohnung, was mir am Anfang angenehm ist, da ich ihre Dinge weiter um mich habe und nicht alles so abrupt ist. Aber je leerer die Wohnung wird, desto belastender wird es. Ich bin am Ende froh wieder nach Trier zu fahren. Was geholfen hat: Der Spaziergang mit A. im Stadtpark, das Abendessen beim Griechen mit J., mein Geburtstagsbrunch mit J., S. und J.2.

3 Gedanken zu „Der Tod meiner Mutter

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