Archiv der Kategorie: Text in Deutsch

Halber Oktober.

Die Herbst-Handlungen: Briefe und Karten schreiben (und zeichnen), Bücher lesen, Serien auf Netflix schauen, Kürbis kaufen, ein Gulasch kochen, Liedtexte von Fairouz auswendig lernen. Ich schreibe einen längeren Brief an M. und realisiere, in was für einer Mausradbewegung ich mich eigentlich befinde. Ausdünnen also. So weit das möglich wäre: An den Wochenenden noch eine Sanitätsübung, ein Erste-Hilfe-Kurs, ein Besuch in Hamburg.

An einem Freitagabend stolpere ich per Zufall über Tank 9 – ein Industrial Dancer und Youtuber, der offensichtlich irgendwann komplett von der Bildfläche verschwunden ist. Ich hatte ihn schon vergessen. Noch nach Jahren laden irgendwelche Leute seine Videos hoch. Irgendwann schreibe ich eine Hommage an alle, die das Netz mit ihrem Scheiß wunderbar machen. Trotz alledem. And to hell with the silcence we are living in.

Traurige Musik-Nachrichten: Die Auflösung von Mashrou Leila. Die Band hat mich gut 10 Jahre begleitet. Sie war der Sound des Arabischen Frühlings. Die Morddrohungen gegen die Band (auch gegen das Publilum), Corona, die Bankenkrise im Libanon. Die beiden letzten Konzerte, die ich besucht habe, waren Mashrou Leila Konzerte. Einmal Heidelberg, einmal Köln. Ich war mir so sicher die Band noch einma zu sehen. Zwei Wochen später stirbt dann Ahmed al Shaiba bei einem Autounfall in New York. Er war ein bekannter Oud-Spieler in der amerkanischen Jemeniten-Community. Im August hatte er sein erstes Album veröffentlicht.

Telefonieren, WhattsApp-Nachrichten schreiben. Die Mutter erinnert sich nicht, was sie letzte Woche noch wollte, bei Bruder und Schwägerin ist immer alles schwierig. Ich soll das alles koordinieren (oder mache es, weil sonst nichts zustande kommt), 600km weiter weg.

Habitustransformationen: Was ich machte, als ich entfristet wurde: 1. Mich in den Personalrat wählen lassen (Yalla Klassenkampf!) & 2. ehrenamtlich Sanitäterin werden. Was man mir häufig übel nimmt, ist nicht die Herkunft aus bildungsfernen Schichten, sondern die Weigerung, das zu kaschieren. Also das doch zumindest mit Scham zu behandeln.

25 Jahre später: Natürlich hat er zugenommen, ist älter geworden. Wir treffen uns am Schanzenbahnhof, obwohl wir beide uns hier gar nicht mehr auskennen. Mir kommt seine Sprache seltsam vor, als würde er irgendwie nuscheln. Ich mag nicht fragen, ob er etwas hat, ein Gebiss vielleicht. Eineinhalb Stunden später sagt er: Ich hatte letztes Jahr einen Schlaganfall. Es sei nicht so wie alle immer sagen, man würde es gar nicht merken. Er hätte einen lauten Knall in seinem Kopf gehört, dann hätte er sich übergeben. Zum Glück waren die Kinder da, er kam schnell ins Krankenhaus. So nah sind diese Dinge jetzt also. Danke, dass Du an mich gedacht hast, sagt er später, als wir am Schlump auseinander gehen. Die Begegnung hängt mir noch nach.

Am nächsten Tag Familie dann: Ich habe ein schlechtes Gewissen, was meine Ungeduld betrifft. Und dass ich mehr für sie Liebe haben sollte. Sie hatte sicher auch keine Lust meine Windeln zu wechseln. Aber alte Menschen und kleine Kinder strengen mich an. Und sie ist eben auch in Vielem schwierig und verklärt ihre Kompliziertheit als Eigenständigkeit. Und ihre Negativität kostet mich bei jedem Treffen Kraft. Mein Bruder ist schlecht, meine Schwägerin ist schlecht, ihr Lebensgefährte ist schlecht, der Urlaub war schlecht, I. ist schlecht und S. sowieso (undsoweiterundsoweiter). Zum Schluss schon lustlos die Fahrkarte für die nächste Runde gebucht. Wieder denken: Ich sollte froh sein, wenn ich sie überhaupt nochmal lebend sehe.

Schönes und Entspannendes: Ein Hörbuch auf Youtube von einem Menschen, dem ich per Zufall auf einem Kongress über den Weg lief. Spannende Geschichte, die sich selbst nicht überernst nimmt. Ich komme noch immer nicht über den wildgewordenen Elefanten hinweg :D. Seltsame Begegnung sowieso: Auf dem Kongress erst gedacht: Gute Güte, was ist das denn für ein blöder Schönling? Google sagt mir dann: Achso, der ist gar nicht blöd. Wie funktioniere ich eigentlich? Spannendes zu Lern- und Lernbiographien auch. Biographieforschung hat mich ja schon immer interessiert und Lernen sowieso. Jaja, schon gut,ich tue Buße…

Sound of the city

Ab Münster gibt es so etwas wie grün, dass das Herz erleichtert, die abgestorbene Vegetation in Trier hat mich emotional belastet. Auch spürt man Natur hier ja eh nicht so, da es eine Großstadt ist.

Treffen mit J. im Park. Die Leichtigkeit mit der wir Gespäche führen und die Leichtigkeit mit der wir aneinander anknüpfen können, auch nach längerer Zeit der Abwesenheit, die ist sehr wohltuend. Sie wirkt sehr müde, der Job als Kindergärtnerin, 2 Corona-Infektionen kurz nacheinander, sie ist jetzt Mitte 50. Die Kirchenleitung sagt, sie könne ruhig mal eine Kur machen, aber ihr Pflichtbewusstsein schafft das nicht. Ich rede auf sie ein, sehe aber, dass das sinnlos ist.

Am nächsten Tag die andere J., J2. zur Mittagspause. Ebenfalls Mitte 50, voller Tatendrang: Lässt sich gerade scheiden, hat mit ihrem neuen Freund ein Haus in Südfrankreich gekauft, für sich selbst aus dem Scheidungsgeld + Kredit ebenfalls ein kleines in Billstedt. Eine Anlage soll es ein, damit die Söhne später etwas haben. 30 Jahre mit einem sehr gut verdienenden Ingenieur verheiratet, immer auf hohem Standard gelebt, Häuser, teure Reisen.

Die Klassenunterschiede der J’s. Lieben tue ich beide.

Wir reden über Prioritäten für diesen Winter, denn auch wir werden uns einschränken müssen. J2 ist mir sehr ähnlich, sie liebt Reisen und Sprachen. Ich könnte eher auf das Heizen von Zimmern verzichten als auf das Herumfahren.

Am Abend Spaziergang am Hafen.

Dienstag Abend dann Bruder und Schwägerin. Familiengeschichten, die Sorge um die Mutter. Auch hier keine Pläne bezüglich politischer Aktivitäten im Herbst, es ist sehr deprimierend. Erstaunen auch darüber, in den letzten Wochen zu viele Gespräche mit Menschen gehabt zu haben, die ich als erheblich politischer einschätze als mich selbst: Alle demotiviert, alle kein Plan. Mir selbst Grundlagen der Geopolitik von Dugin bei Amazon in Englisch geladen. Das Buch ist furchtbarer (oder so furchtbar) wie angenommen: Esoterischer Quatsch mit Erd- und Wasserkräften, gepaart mit Raumphantasien a la Volk ohne Raum. Es wäre skurril, wenn es nicht so gefährlich wäre. Völliges Unverständnis darüber, dass Teile der Linken diesen Quark auch noch in abgespeckter Form verbreiten.

Geräusche, die es in Hamburg nicht gibt: Glockenläuten.
Geräusche, die es in Trier nicht gibt: Das Bremsen der U-Bahn

Fuerteventura-Notizen

Fetthenne
  • Die Biographie von Angela Merkel ist genauso zäh wie ihre Regierungszeit
  • M. wurschtelt sich seit 27 Jahren durch. Reiseleiterin, Sprechstundenhilfe, Übersetzerin, Kosmetikverkäuferin. Während Corona hat sie sich ihre Rente auszahlen lassen und auf den Kopf gehauen. Diese Ruhe hätte ich nicht.
  • Ich kann nicht glauben, dass M2 geschieden ist. Hätte immer gedacht, er ist so ein Familienmensch. Und mit mir war ja nicht viel mit Familie.
  • Runterfahren: Schlaf stellt sich schnell ein, die Alpträume brauchen 2 Tage bis sie weg sind.
  • Diät kann man auch ablehnen. Seit einem bestimmten Alter (wann war das?) brauche ich immer eine Woche im Jahr einen Abhängurlaub mit Vollversorgung. Ist mir egal, ob das spießig ist.
  • Aloe Vera funktioniert wirklich bei Sonnenbrand
  • Mir fehlt der Wind so in Trier. Überhaupt: Jetzt fährt man im Sommer auf die Kanaren, weil es da so schön kühl ist. M. sagt, sie freut sich, wenn mal kein Wind da ist.
  • Es ist schwer hier soziale Netzwerke aufzubauen, sagt M. Die mesiten bleiben nicht auf Dauer.

Im Juli

Listen erstellen. Was man alles einpacken wird. Welches Kleid man an welchen Abend tragen wird. Planen ist das Beste. Ich belohne mich. Belohne mich, den ganzen Mist durchgehalten zu haben. Mit einem Kindle. Einem mit fliederfarbener Lederhülle.

Du magst ja all dieses Jungszeug. Möglichst nüchtern.

Ein Foto von vor 4 Jahren. Das Übungsbuch für arabische Kalligraphie. Wie komisch zielgerichtet alles geworden ist. Wie wenig ich jetzt Wissen erwerbe, rein um des Wissens Willen. Die frohe, neugierige Haltung, kann ich nicht wiederfinden. Das Italienisch, das ich jetzt lerne, könnte es sein. Doch geht es da mehr darum, bei einer lustigen Truppe zu sein. Ich hätte es ansonsten schon aufgegeben. Die Sprache ist auch nicht besonders schön, wenn man es mit Arabisch vergleicht.

Ich frage mich nur, warum das wichtig gewesen wäre, dass man irgendwie gleich ist, als ginge es um eine Organtransplantation. Ich weiß ja, dass diese Gedanken nutzlos sind, ich werde mich bald von ihnen verabschieden. Ich bin bloß nicht so schnell.

Es macht nichts, dass Lindner den Personenschutz für seine Hochzeit aus der Staatskasse nimmt. Seit Trump und Johnson ist Nassforsches etwas, das geadelt wurde. Es muss nichts mehr verborgen werden. Man demonstriert offen, dass es keine Grenzen gibt.

Immer noch keine abschließende Meinung zur Transgender-Debatte, vor lauter Gebrülle kommt man allerdings auch wenig dazu, einen Gedanken zu fassen. Was ich gerne lesen würde: Die Gedanken hinter den felsenfesten Überzeugungen, die sich alle gegenseitig ins Ohr megaphonieren. Recherchieren. Rumlesen. Sich doch entscheiden, da weg zu bleiben. Viel zu oft wieder die Entscheidung, weg zu bleiben. Auch das Gefühl, sich argumentiv nicht durchsetzen zu können. War schon in der anarchistischen Jugendgruppe in den 8oern so. In der Eigenbeobachtung: die seltsame Differenz, so handfest und geradeaus in den menschlichen Beziehungen und Unternehmungen, so unsicherer in den Debatten und allem Intellektuellem.

Du trägst etwas, aber ich kann nicht mit anfassen.

Ich habe zwei schöne, große Wassergläser, die ich neu gekauft habe, weil ich in irgendwas süßen Couscous und den Joghurt kippen musste, um A. einen Nachtisch zu servieren. Mit zwei goldenen Blättern auf jedem Glas. Ich schaffe mit ihnen etwas, das ich bis jetzt nie geschafft habe: Viel Leitungswasser trinken. Es schmeckt plötzlich, was objektiv natürlich Quatsch ist.

Seit langer Zeit zwei Nächte mehr als neun Stunden Schlaf. Wie viel das ausmacht. Seit 15 Jahren jetzt schon diese Residualsymptome. Letztens mal wieder mit einer Schlaftrainings-App versucht, da was zu verbessern. Mit mäßigem´Érfolg. Trotzdem den Traum nicht aufgeben, irgendwann wieder dauerhaft ausgeschlafen zu sein. Medikamente haben ein paar Jahre geholfen, aber ich will keine Medikamente mehr und meine Leber auch nicht. Und das Wesentliche funktioniert ja auch ohne,

Eiseskalte Höflichkeiten. Die Grenzen des anderen sind die Grenzen des anderen.

Im Kino Corsage gesehen. Ich mochte die ästhetischen Bilder, die Verschränkung zeitgenössischer Elemente mit historischen, den Tatbestand, Sissi nicht als frisches, dralles Mädel zu zeigen und die Filmmusik. Am Ende bleibt unklar, ob sie mit dem Sprung ins Wasser entkommt oder Selbstmord begeht (was sie mehrfach versuchte), aber als Rettungsschwimmerin würde ich sagen: Diesen Sprung überlebt man nicht. Was aber Filmmenschen vermutlich egal ist qua künstlerischer Freiheit. Was für ein nerviges Fazit auch: Frau über 40 muss sich umbringen, da sie mit dem Älterwerden nicht klar kommt. Ja nee, is klar.

Ist mir egal, ob ich irre wirke. Wenn sie was zu motzen haben, laufen sie ja auch alle auf, ansonsten halt eher nicht.

Der Stand des Krieges

Wir sprechen jetzt von früher. Der Ölkrise. Vom Wärmeflaschen im Bett und Eisblumen an den Fenstern. Von Bädern ohne Dusche und dem Klo halbe Treppe. Von Badewasser, das mehrere Personen nutzten. Ich recherchiere, wie man Strom spart, aber die meisten der Tipps setze ich schon um. Die Jugend ist ohne Verzicht aufgewachsen, sagt K. Soll man Verzicht verklären? Ich fürchte weniger den materiellen Mangel als die sozialen und menschlichen Verwerfungen. An vielen Stellen sind sie schon da.

Ich _will _ mich kümmern und es ist auch politisch geboten. Manchmal zynisch, dass die Welt sich ihrerseits wenig um mich kümmert. Über Personalratsarbeit kann ich vielleicht etwas abzufangen. Sanitäterin bin ich ab September und ggf. dann einsatzfähig. Mehr zur Lage kann ich ggf. nicht beitragen. Ich frage mich, wie andere sich vorbereiten. Aber es scheint: Niemand. Alle genießen den Sommer. Verständlich, die P. sagt: Genießen wir, so lange wir noch können… Aber ich kann nicht wirklich abschalten. Gepaart mit schlechtem Gewissem, nicht ausgelassen zu sein. Wann solltest Du denn sonst auftanken, hm? Erinnerungen an die Beschreibungen aus Kästners Tagebuch: Im Krieg erst recht feiern.

Ich erinnere mich an die R.’s Erzählungen. In Aleppo standen sie nachts auf, um Wäsche zu waschen, denn es gab nur stundenweise Strom, manchmal eben auch nur nachts. Wir witzelten noch: Bald geht es Dir wieder so, nur, dass es eben kein Witz ist. Die Deutschen sind wie Schafe, die nicht glauben wollen, dass ihnen das passiert. Erinnerungen an die Memoiren von Simone de Beauvoir. Die Zeit vor dem 2. Weltkrieg, wo auch alle dachten: Es wird nicht so weit kommen. Trotzdem selbst zuweilen verstört, dass sich meine Realität immer mehr der meiner irakischen und syrischen Freunde anpasst.

Wenn D. da wäre, könnte er die Inflation erklären, überhaupt all die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die ich nicht verstehe.

Back to black

Die Zeiten sind schlecht und bald noch mehr. Ich hätte mir einen Gefährten gewünscht, der Gedanke ist nicht mal romantisch, mehr pragmatisch. Mir graut davor, Krieg und Pandemie alleine zu bewältigen

Sicher können sie die Hochschulen schließen, sollte Stufe 3 in Kraft treten.

Aus Trotz Licht und Farbe produzieren : Schaffe ich nicht mehr.

Geschafft. (Edit: Seit heute auch „Dienstvereinbarung mobile Arbeit“ raus. Verbessert für die Kolleg:innen so vieles)

Bruder und Schwägerin mit Corona, Freundin das 2. Mal in 4 Wochen: Kindergärtnerin. Auf der Arbeit laufend jemand.

9-Euro-Ticket 1

Noch bevor es begomnen hat, schreibt die Presse das 9-Euro-Ticket kaputt: Wie schrechlich doch diese überfüllten Züge sein müssten, überhaupt, neue Zielgruppen würden nicht erschlossen, man müsse auch an die Menschen auf dem Land denken, denen bringe das Ticket ja überhaupt nichts. Und so weiter.

Das Pfingstwochenende startet mit einem persönlichen Tritt und einer langen Sitzung mit einem Infizierten, arbeitete sich dann aber mit einer netten Hospitation bei einem Erste-Hilfe-Kurs am Samstag langsam hoch. Wir hocken in einem Container des ASB in Ehrang, der im Rahmen der Flutkatastrophe dort auf dem Kirchvorplatz aufgebaut wurde und weiterhin als Begegnungsstätte genutzt wird. Ich merke, dass ich immer mehr Routine bekomme und das meiste schon selbstständig beantworten kann. Irgendwas ist letzt Woche mit meinem Rücken passiert und so rede ich meistens im Stehen und merke, dass es nicht so gut kommt, mich als Demonstrationsobjekt, das man durch die Gegend hebt und zieht, zur Verfügung zu stellen.

Pfingssonntag endlich der lang erhoffte Regen. Die Luft ist wunderbar, der Tag ansonsten ereignislos. Ein bisschen spazieren, ein wenig kochen, ein wenig Netflix.

Pfingstmontag teste ich dann endlich das 9-Euro-Ticket Ich warte die ganze Zeit darauf, dass jemand mein Ticket des Hamburger Verkehrsverbundes anschaut, aber in der RB71 nach Homburg kontrolloert natürlich niemand, wie hier in den Reginalbahnen eh niemals kontrolliert wurd, seltsamerweise aber in den Regionalexpressen. Der Zug um 9 Uhr ist fast komplett leer, auch auf der Rückfahrt gegen 12:30 Uhr ist der Zug belegt, aber weit entfernt von irgendeiner Überfüllung.

Ich laufe zum Schloss Saarfels hoch, das sich leider auf einem geschlossenen Privatgelände befindet. Das Internet benennt es wahlweise als Hotel, aber auch als Ferienwohnung. Immerhin finde ich eine Seite, die die alte Inneneinrichtung zeigt. Interessamterweise ist das Gebäude nur im Stil der Burgenromantik gebaut, aber mit einem Erbauungszeitraum von 1912-14 nicht wirklich alt. Ich kann nicht rausfinden, wem es gehört, aber offensichtlich stand es 2015 mal zum Verkauf und die Immobilienfirma beschenkt uns mit diesem tollen Werbevideo:

Weiter geht es zum Hofgut Serrig auf dem 160 Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen arbeiten. Auf dem Gelände befindet sich auch eine alte Feldbahn, die aber nur sonntags in Betrieb ist. Fazit: Für einen Halbtagesausflug gut geeignet. Der nächste 9-Euro-Tripp geht nach Frankfurt.

Der erste Bildungsurlaub

Eigentlich hätte das mein Geburtstagsgeschenk letztes Jahr an mich selbst sein sollen, wurde aber wegen Corona abgesagt, deshalb nun. Ich möchte natürlich an die Küste, Wangerooge. Das Antragsverfahren war problemlos, was nicht bei allen Arbeitgebern so zu sein scheint, wie ich von anderen Teilnehmenden erfahre. Hamburg war 1974 das erste Bundesland, dass Bildungsfreistellung eingeführt hat, lerne ich bei meinen Recherchen. Bayern und Sachsen haben es immer noch nicht.

Im Vorfeld der Reise sehr unsicher, ob ich als Einzelkämpferin so lange Zeit mit vielen Menschen verbringen kann. Aber die Gruppe ist sehr entspannt. Wer was machen will, der macht was, wer sich abseilen will, tut eben dies, ohne große Diskussionen. Trotzdem am Ende der Woche sehr platt von so viel Menschen und dem sehr strammen Programm. Ich lerne etwas über die Enstehung der Küste durch die Eiszeiten, die historische Entwicklung Wangerooges mit Verlagerung der Insel nach Osten, den Aufbau des Wattes, den Deichbau und die aktuellen Aufschüttungsmaßnahmen, über Flora und Fauna und wie Pflanzen mit dem Salz umgehen, über Vogelzug, gestrandete Pottwale, ich beobachte selbst Vögel, wandere durchs Watt und sammele Muscheln, bestauene den Wattwurn, beobachte Nachts die Lichter von Leuchttürmen und Bojen. Und diskutiere aktuelle politische Entwicklungen auf der Insel und perspektivische Entwicklung selbiger. Vieles muss ich abends noch einmal nachlesen, zum Beispiel das Schicksal des Knutts. Da ich nicht schon genug Interessen habe, gleich ein Fernglas bestellt, um vom Balkon aus noch besser Vögel stalken zu können. Ich erstehe auch ein Vogelbestimmungsbuch, die dazugehörige App versorgt mich mit Vogelstimmen. Fazit: Sehr anstrengend, aber auch sehr schön.

Und sehr großen Respekt vor S., (tolle Frau), die seit 20 jahren auf der Insel lebt und das Nationalparkhaus verwaltet in dem die Veranstaltung stattfand, mit all den Problemen, die damit verbunden sind. Für so einen Lebensweg muss man sich eben auch entscheiden. Und Respekt vor all dem Wissen, dass sich da angesammelt hat und auch wie gut didaktisch das alles aufbereitet ist. Überhaupt: eine Passion haben. Ich habe mich ja eher so durchgewurschelt und nach und nach herausgefunden, was ich will und kann. Auch wenn ich am Ende schon richtig gelandet bin.

Jetzt gruselt es mich ein wenig davor, wieder in das „normal“ zurück zu müssen. Viele Kampfbaustellen an dem anderen Ende der Republik gerade.

Im März

Zwei volle Wochenenden von 9-17 Uhr mit der Sanitätsausbildung verbracht. Dann stolze Beseitzerin eines SAN-A-Scheins (Sanitätshelferin). Ich hatte vor der praktischen Prüfung Angst, theoretische Inhalte verinnerlichen ist ja doch Tagesgeschäft. Die ganze Zeit über sehr viel Respekt vor der Sauerstofflasche, ein neben mir liegender Gefahrenstoff. Die praktische Prüfung bestand im ersten Teil aus einer Herz-Lungen-Wiederbelebung mit angelegtem Guedeltubus, Beatmungsbeutel und angeschlossener Sauerstofflasche. Man arbeitete in Zweierteams. Der zweite Teil der Prüfung war ein zugelostes Fallbeispiel, in unserem Fall einem Mann, der sich einen Schraubenzieher durch die Hand gestochen hatte. Notruf absetzen, Schraubenzieher mit Verbänden stabilisieren, dass er nicht wackeln kann und Hand ruhig stellen (Niemals etwas aus dem Patienten rausziehen , ggf. Verblutungsgefahr bei beschädigten größere Aterien oder Venen oder gesplitterte Knochen werden weiter verteilt etc. – macht dümmstenfalls alles schlimmer => Sache des Krankenhauses,) beruhigen und Verletzung so abdecken, dass er es nicht sieht, sitzend angelehnt aufrecht lagern (kippt ggf. um, wenn ohnmächtig vor Schmerz), Lebensfunktionen regelmäßig kontrollieren. Verbände sind ja mein Lieblingsthema, insofern ging das gut.

Am Montag davor Frau Hotel Mama und ihr Fahrrad an der Porta Nigra getroffen (Sie berichete davon). Es ist schweinekalt und hätte ich das gewusst, hätte ich doch fleißig geputzt und einen guten Kaffe serviert. Jetzt muss es eben so gehen. Man hat sich viel zu erzählen und das Gespräch schläft nicht ein, es passst also. Wir schauen das, was man in Trier so schaut: Dom, Liebfrauenkriche, Viehmarkttherme, Palastgarten und die Kaisertherme. Mein Trier ist tatsächlich am ehesten mein Straßenbett, das ich ihr zum Schluss zeige. Es gibt noch nicht viel zu sehen, es friert in den Nächten noch zu doll. Aber heute habe ich ein paar Hornveilchen gepflanzt. Auf der Fensterbank in den Vorziehtöpfen machen sich die Petunien und Malven gut, aber die Zinnien wollen nicht.