Archiv der Kategorie: reisen

Koblenz 1

Gebloggt: Es kommt mir seltsam vor, ausgerechnet jetzt zu reisen. Ich wähle ein Zimmer, kein Frühstück. Nichts, wo man die FFP2 absetzen muss. Es scheint mir gleich, ob ich bei mir im daheim in einem Zimmer hocke oder in einer anderen Stadt. Und dank A. besitze ich seit einiger Zeit einen Reisewasserkocher. Ich frage D., ob er mit mir in Museen möchte, aber er verkriecht sich vor Omikron und muss auch lernen. Mein Kopf versteht das, bin aber trotzdem betrübt. Stelle mir vor, wie wir Seilbahn fahren, so rauf und runter. Am Montag dann ein Treffen mit P.. Wir haben uns seit 2019 nicht mehr „in echt“ gesehen, nur Videokonferenzen.

Koblenz Mittelrhein Museum und Forum Mittelrhein

Sobald ich unterwegs bin ist alles gut. Im Mittelrhein Museum sehe ich die Dauerausstellung mit Werken vom Mittelalter bis zu zeitgenössischer Kunst. Merke wieder, dass ich abstrakte Kunst nicht verstehe und etwas Gegenständliches brauche, um darüber nachzudenken.

Nach der Beerdigung

Sind das die Leichenträger oder ist das Verwandtschaft? In was für einem Buch liest der Mann (nicht die Bibel) da? Trinken die Viez? Hängt da der Kaiser an der Wand? Wo sind die Frauen?

Schön finde ich, dass es in Kooperation mit der Stadtbibliothek eine Artothek gibt. Zeitgenössische Künstler bieten dort ihre Werke zum dreimonatigen Verleih an, gegen eine kleine Gebühr. Ich liebäugele mit einem Bibliotheksausweis, um daran teilnehmen zu können, bis mir die Vernunft Vorträge hält. Google verrät mir dann später, dass es sowas in Trier schon seit 1992 gibt. In Hamburg gibt es gar den Artothekenverband Deutschland. Die ersten Artotheken entstanden im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in den USA, lerne ich.

In der Stadt versammeln sich Polizei, Querdenker und Gegendemonstranten. Meine Stimmung trübt sich wieder und ich denke daran, dass diese Leute den Gedanken der Protestbewegungen auf lange Zeit ruinieren werden. Nehme noch Oliven, Salami und Wein aus dem Supermarkt mit. Ein kleines Abendessen.

Reisebegleitung

Im Hotel: Die Chillis sind noch zu klein, um alleine zu Hause zu bleiben und die Samen der Orchideenbäume haben auch noch nicht gekeimt. So ist beides mitgekommen, samt der Pflanzenlampe. Frage mich, ob Hotelangestellte die Gäste eigentlich für bekloppt halten. D. wüsste es. Die Internetverbindung ist mäßig und ich mache mir Sorgen, dass mein Zoom-Essen mit K. morgen Abend nicht klappt.

Der Rest of 2021

Ferienwohnungen: Immer so wie aus einem IKEA-Katalog. Nicht wie meine Wohnung, mit Spuren davon, was darin passiert: Das Umtopfen der Pflanzen, das Kneten des Teigs, das Braten der Kartoffeln, das Wegwerfen von Zeitungen, das Bürsten der Haare, das Bemalen von Keramik, das Servieren für Gäste, das Anhängen von Bildern, das Schreiben von Briefen, das Backen von Brot, das Legen von Puzzel, das Schauen von Serien, das Sprühen von Parfum, das Ziehen von Kräutern, das Füllen von Gießkannen, das Saugen des Bodens, das Sortieren des Schmucks.

Man soll jetzt das Jahr zusammenfassen und Pläne für das neue machen. Ich bin nicht sicher ob ich gesund nach 2022 komme: Frankreich meldet 200.000 neue Corona-Fälle am 29. Dezember und ich muss noch einmal 11 Stunden reisen. Mein Booster-Termin ist am 6. Januar. Ich habe die Fotos für das Fotobuch 2o21 rausgesucht. 2021 habe ich zwei Tagebücher voll geschrieben anstatt einem. Ich habe 2021 mehrere Bäume gepflanzt. Ich habe eine Wahl organisiert und Personalvertretung gemacht. Ich war einmal unglücklich verliebt und das zweite Mal ist ungewiss. Ich frage lieber auch nicht mehr. Mein Beet ist gut gewachsen und meine Kochkünste sind es auch. Ich bin A. näher gekommen, das ist das Beste an der Pandemie. Ich möchte 2022 den Abschluss als Sanitäter und ich möchte nach Rom. Mehr plane ich nicht, das kommt mir schon viel vor. Das ist das Schlimmste an der Pandemie.

Mit dem Bus fahre ich nach Nebel. Auf den alten Seemannsgräbern erzählt jeder Stein die Geschichte seines Toten. Seine Heiraten, seine Kinder und welche Reisen auf welchem Schiff er machte. Über Oluf Jensen heißt es:

MEIN LESER HIER RUHET DER SEEL SCHIFFER OLUF JENSEN AUS SÜDDORF, WELCHER Ao. 1672 DEN 8. SEPT: GEBOHREN IST UND Ao. 1705 HAT ER SICH ZUM ERSTEN MAHL IN DEN EHE STAND BEGEBEN MIT MARRET HARCKEN UND DERSELBEN GEZEUGET 2 SÖHNE, DIE Ao. 1708 D: 6. AUG GESTROBEN IST. UND DARAUF Ao. 1713 HAT ER SICH ZUM ZWEITEN MAHL VEREHELICHET MIT DER DAMAHLIGEN MARRET JÜRGENS ANJETZO ABER NOCH LEBENDER SCHMERTZLICH BETRÜBTEN WITWE MARRET OLUFS UND MIT DERSELBEN GEZEUGET EINE TOCHTER DIE NOCH AM LEBEN IST. ANNO 1724 WARD SEIN SCHIFF DIE HOFFNUNG GENANT WORAUF LICKERT FLOR DAMAHLS VICE-SCHIFFER WAR NEBST SEINEM SOHN UND ZWEY SEINER BRÜDER SÖHNEN VON DEN TÜRCKEN GENOMMEN – UND ZU ALGIER AUFGEBRACHT WORDEN. SIE SAHEN ABER NACH EINER ZWÖLFJÄHRIGEN GEFANGENSCHAFT IHR VATER LAND WIEDER: ANNO 1750 DEN 19 MAY HAT ER NACH DEN WILLEN GOTTES DAS ZEITLICHE MIT DEM EWIGEN VERWECHSELT UND SEIN GANZES ALTER GEBRACHT AUF 77 JAHR UND 8 MONATE UND 11 TAGE.

Grabstein des Oluf Jensen, Nebel, Amrum

Distanzen

Auf dem Rückweg mache ich Frieden mit dem Stress der letzten beiden Wochen. Ich finde mich mit diesem Winter ab, der eben wieder das beste aus dem machen wird, was eben möglich ist. Und ich beginne konkrete Pläne zu machen wie das aussehen soll. Ich verließ Trier am Freitag und wie immer tat mir ein Ortswechsel gut, um die Dinge auf Distanz zu bekommen. Der ganze Irrsinn der Planlosigkeit der Politik und die Gleichgültigkeit gegenüber den Toten. Ich schlief die erste Nacht 8 Stunden und am nächsten Nachmittag noch mal 3, so sehr hatte mich das alles aufgeregt

Mit E. und R. einen Weihnachtsmarkbesuch geplant, aber die Schlangen davor sind so lang, dass wir uns für ein Essen in einer Außengastronomie entscheiden. R. ist Wintermuffel und quengelt, dass ihm das zu kalt wäre, aber wir finden dann etwas mit Heizpilz. Die beiden haben im letzten Jahr genug Federn gelassen und versuchen, die ganze Situation nicht so an sich rankommen zu lassen. Selbstschutz hat Priorität, sagt E. Wir laufen nach dem Essen durch das Gereons-Viertel und sie zeigen mir das Gehrling-Quartier, auf dem die ehemaligen Versicherungsgebäude nun Wohungen sind. Sie scheinen mir als Wohnungen wenig schön, aber ich nehme mir vor, das ganze noch einmal bei Tageslicht zu beschauen, wenn es sich ergibt.

Am nächsten Tag werde ich gut von D. bekocht, wofür ich sehr dankbar bin: Spaghetti mit Meeresfrüchten. Während ich mit Rezepten zumindest immer eine grobe Richtschnur brauche, kocht D. nach Schnauze und das nicht einmal schlecht, weshalb ich heimlich neidisch bin. Ich merke den Wein sehr schnell, halte mich aber bei den Gesprächen tapfer. D. lebt ganz durch den Kopf, jedenfalls kommt es mir so vor. Das muss also so die Art sein, wie Intellektuelle Gespräche durch die Nacht führen, denke ich. Der Wein hilft jedenfalls dabei, mir um meine eigene Intellektualität nicht allzu viel Gedanken zu machen. Wir reden lange über das Schreiben, das Lesen und die unmittelbare Erfahrung. Beim Abschied sage ich, komme doch mal nach Trier, aber er wirkt nicht sehr enthusiastisch. Ob wegen mir oder Trier, kann ich nicht sagen. Mein Optimismus nimmt ihn aber in die Liste für Korrespondenzen auf.

Korrespondenzen dann auch Zug: Mit meiner Cousine, D. und dem Vermieter für den Silvester-Urlaub.

Hamburg, Ende Oktober I

Unerledigtes schafft nur ein paar Stunden Schlaf und in dem Netzloch zwischen Koblenz und Frankfurt versuche ich noch einiges zu regeln. Letztlich löst sich alles in Wohlgefallen auf. Wir treffen uns neben dem Rathaus, bei Backfisch und Fassbrause. Richtige Fassbrause, nicht das Zeug, das heutzutage als solche verkauft wird. Wir streifen Jobs, Kollegen, die Reisen, die wir machten und wie es den Eltern geht. Wir schlendern wir am Wasser, auf der Alster rudern welche im Dunkeln an der beleuchteten Fontäne vorbei. Es ist warm und  es gibt noch Eis. Neben uns ein paar Schwäne, über uns Kraniche, die nach Süden ziehen. Und immer ein bisschen Wind. Wir haben gar kein Foto von uns gemacht, schreibt J. hinterher. Lass uns das beim nächste Mal tun bevor wir dement werden.

Samstag treffen mit A. Sie wird ihr Krankenschwester-Dasein im März unterbrechen, um ein 4-wöchiges Praktikum in einer Schloss-Verwaltung zu machen. A. stalkt seit Jahren alle Burgen und Schlösser, die sich so finden lassen. Ihr Mann fragt, was sie machen würde, wenn sie sie behalten wollen. Na, da bleiben, sagt sie. Wir wandern an unserem alten Institut vorbei, wo wir uns vor 25 Jahren kennengelernt haben. In der Straße entdecken wir ein Haus, das irgendwie sehr Rudolf-Steiner-mäßig aussieht und uns nie aufgefallen ist. Es ist wohl auch eins, wie mir kundige Personen auf Twitter mitteilen. Wir kaufen am Bahnhof Butterkuchen, da ich den im Süden schlecht bekomme – ebenso wie Grünkohl – und essen auf der Treppe vor dem CCH. A. möchte gerne nach Köln, den Melaten-Friedhof sehen, wir verabreden lose etwas für Dezember. Sie ist eine der wenigen Personen, die stundenlang reden können ohne mit damit auf die Nerven zu gehen. Auch unser Reise-Faible ist derselbe. Sie muss zur Schicht, ich noch ein paar Dinge besorgen. Hier ist alles eine Erfrischung für die Seele. Jedes Mal. Wie ich das immer vergesse, wenn ich wieder im Süden bin.

Den Rest des Tages faul im Hotel verbringen, Haare machen, Nägel machen, Tagebuch schreiben, Kekse essen, lesen. Eine wichtige Mail: Die Weiterbildung zur Erste-Hilfe-Ausbilderin startet im Januar. Eine shock(!)ierende Nachricht auf Facebook: Der Schockwellenreiter ist mit Schlaganfall im Krankenhaus. Ich mag gar nix bloggen.

Im Herbst

Ein Oktober (weitgehend) ohne Reisen. Mit der Hoffnung zur Ruhe zu kommen, was nur wenig funktioniert. Diese Woche das erste Mal unschön angeschossen worden mit persönlichen Beschuldigungen, gelogenen Informationen und was man sich so ausdenken kann. Bin nicht sicher, ob ich mit diesem Aspekt der Gremienarbeit umgehen kann und überhaupt geeignet bin. Für das politische und den ganzen Dreck. Aber mir gefällt die Arbeit mit Gesetzestexten und das Strukturierte, das darin liegt.

Als Ausgleich den ersten Kürbis geschnitzt, wenn ich auch kein Freund von Halloween bin. Mir gefallen die handwerkliche Tätigkeit, die Gesichter, die entstehen, das Licht und der schöne Kürbis-Geruch. Bin immer weiter weg von den ganzen Coolness-Konzepten, die sich von „dem Normalen“ abgrenzen müssen und „die-Dinge-müssen-so-und-so-sein“.

Ich weiß ja auch nicht. Meine Idiotie. Warum bist Du so ruhig und ich bin es nicht? Im Supermarkt nehme ich eine Flasche Federweißer. Dinge, die es nur zeitweilig gibt und die eine Jahreszeit markieren. So wie erste Erdbeeren im Mai. Ich schaue noch einmal die Gärtnerin von Versailles. Ich mag all das Üppige an dem Film. Und ich mag Kate Winslet. Ich habe so schwere Augenlider. Vielleicht bin ich am Sonntag wach.

Maps and index cards

The train stopped in Koblenz for half an hour and in Hamburg I am thrown from the subway because a madman is threatening the citizens and the police with a knife.

Before family obligations stoped me, I visited the Museum am Rothenbaum. There is an exhibition on cartography and color. After months of staring at the chronoscope, the real maps overwhelmed me.

The five Chinese phases, wuxing, have been incorporated into a Korean map. Red is the south, the west is white, black is the north, green is the east and yellow is the center.

I spend a long time in front of a pictorial map of Wutaishan, a Buddhist pilgrimage site about 350 km from Beijing. The pictorial maps are my favorite anyway, I could look at them for hours.

I learned that iron gall ink was made of iron and oak galls that are caused by chemicals injected by the larva of certain kinds of gall wasps.

In an adjoining room there is an exhibition about the women who worked in the museum at the beginning of the 20th century and who inventoried and drawn the museum pieces. Little biographical information and personal testimonies have been received from the women, but many have attended the arts and crafts school in Hamburg.

Henriette „Henny“ Wagener

Initially, from 1905, a male research assistant was entrusted with the inventory of the objects, but was replaced by female technical assistants from 1907. They earned 100 marks a month, which was half the pay of a male research assistant. The Hamburg Museum was the first in Germany to employ women as assistants. A draftswoman created index cards for 1,500 objects on average each year.

D-Dorf I

„Da waren wir letztzes Jahr auch… oder in Duisburg… oder in Dortmund… ich kann die ganzen Städte mit D nicht auseinander halten“, schreibt die Schwägerin. Gut, dass das in Duisburg oder Dortmund niemand weiß, denke ich bloß. Ich war noch nie in Düsseldorf, doch sein Ruf ist denkbar mies, nur reiche Schnösel dort. Kölner hassen es. Aber mir gefällt die Aussicht auf moderne Architektur und dass es von meinem Dorf meiner Stadt aus halbwegs erreichbar ist. Ich reise mit einem Granatapfel-Sämling, der zu klein und wurzellos ist, um über das Wochenende bewässert zu werden. Pflanzen-Reisende sind gute Reisende. Ich traf mal eine sehr nette junge Frau mit Zitronenpflanzen in der Bahn.

Ich lerne: Düsseldorf hat eine große japanische Cummunity, überall gibt es Restaurants mit wunderbarem Essen. In einem japanischen Supermarkt kaufe ich eine Süßigkeit, die köstlich schmeckt. Auch lerne ich: Horden kreischender Teenager sind eine Pest, sowieso das viele junges Partyvolk, auch im Hotel.

Am nächsten Tag frühstücke ich um 7, damit ich den jungen Hipstern aus dem Weg gehe. Das Buch trage ich mit mir, um einen Tisch zu besetzen. Das Handtuch-Buch, wichtiger Begleiter aller Alleinreisenden. Nach dem Frühstück dann doch sehr faul. Ich brauche Zeit, um mich auf den Weg zu machen. Jemand hat auf einer Wand mit Kreide ein Pamphlet mit Anweisungen und Telefonnummern hinterlassen. Tüte Milch besorgen. Menschenfleischhändler. Die Ampeln haben eine viel zu kurze Grünphase und einen aggressiven gelben Balken, der einen darauf hinweist, dass das Recht sich auf der Fahrbahn zu befinden bereits erloschen ist. So auffällig: Die Diskrepanz zwischen den zahlreichen Penner auf der Straße und den fetten Karren, die geräuschvoll an der Ampel beschleunigen. Google betrügt mich, dort wo Leysieffer (Meersalzschokolade!) sein sollte befindet sich jetzt eine andere Chocolaterie, ich kaufe trotzdem eine Tüte frische Schokolade (Zartbitter-Chilli, Weiß-Haselnuss, Vollmilch- Mandelsplitter). Ich lande gar nicht bei Architektur, sondern auf den Rheinwiesen. Die Woche steckt mir in den Knochen und ich schlafe unter einem Baum erst einmal wieder ein. Um mich herum laufen Menschen und sammeln Müll, irgendeine Mach-deine-Stadt-schöner-Aktion. Auf dem Rückweg streife ich die Kö, ein kompletter Stress auf einen Samstag, obwohl ich schon neugierig gewesen wäre. Zumindest einmal von der Seite Schuhe für 2000 Euro. Vor den Restaurants stehen lange Schlangen und warten auf einen Tisch. Ich werde später essen. Für fünf Minuten laufe ich einer Frau mit einem wunderbaren Parfum hinterher.

Köln hier & da

Auf dem Rückweg vom Meer eine Nacht in Köln verbracht, im Motel One, an das ich seit der WikiCon 2014 angenehme Erinnerungen habe. Ich mag den Innenhof mit den Backsteinbauten und den über alles wachsenden Pflanzen. Am nächsten Tag treffe ich Edmond Goncourt, den ich seit vielen Jahren eher mit einem halben Auge verfolge und der mir vor allem durch seinen eigenweltlichen Blick beim Fotografieren aufgefallen ist, denn seine Texte habe ich nie wirklich gelesen. – Wie schräg das ist, wie man sich selbst im Vorfeld gleich raus sortiert. Immer noch. (Das ist zu abgehoben, das verstehst Du eh nicht usw.). Dabei sind sie eigentlich ganz schön, die Texte. Merke ich… jetzt. – Das Arbeiterkind in mir steht dann auch nervös in der Bahnhofshalle: Ob denn mein bildungsbürgerliches Know How für Smalltalk reichen wird? Ich habe Glück und der echte Goncourt ist geerdet genug, um mich zu entspannen und gebildet genug, um nicht zu langweilen. Sowieso: Was für ein wunderbarer Mensch. Zu Hause merke ich, dass mich seine (wieder) Text-Existenz irgendwie stört. Wäre lieber einfach weiter geschlendert, so plaudernd und schauend und nicht wissend, wo genau ich eigentlich bin. Dafür gibt mir die Unterhaltung einen Ruck, doch noch einen Baum für O. über Kölner Grün pflanzen zu lassen, etwas, das ich schon seit 1 1/2 Jahren plane und immer wieder aufschiebe, natürlich auch wegen der Kosten. Aber wenn Menschen wie Goncourt viel Geld für totes Holz ausgeben können, kann ich das doch auch für lebendiges, oder? (Argumentiere ich mit mir selbst).

[Break: Das erste, das ich sehe als ich die Arbeits-E-Mails öffne: Mein Lieblings-A., der Hausmeister, ist tot, nicht mal 60.]

Heute: E. und R. sind mit Wohnmobil ein paar Tage von Ehrenfeld nach Trier gekommen. Letztes Jahr waren beide mein erster Besuch nach dem Frühjahrs-Lockdown, sehr dankbar dafür. Dieses Jahr waren beide die ersten, die ich seit Monaten umarme, wieder sehr dankbar. Es stellt sich raus, dass sie auf der Flucht vor den Wirren der letzten Monate sind, welche sich über den Tisch eines thailändischen Imbiss vor mir ausbreiten. Irgendwo muss der Kram ja hin. Misstrauisch beäugen sie die Zukunft, „was-denn-da-jetzt-noch-kommt“. Nix, sage ich, ab jetzt wird alles besser. Und seltsamerweise fühlt es sich für mich tatsächlich auch so an. Ich rede noch was von SelfCare, weiß aber jetzt schon, dass E. sich nicht dran hält. Was die beiden auszeichnet: Sie sind die einzigsten meiner Bekannten, die die Trierer Stadtwerke besichtigt haben, um die Architektur zu fotografieren. Und Mariahof. Eben doch die besseren Touristen. Kommt bald wieder.

Im Schwarzwald

Es regnet aus Eimern, aber die Gästekarte ermöglicht es einem im ganzen Schwarzwald den Nahverkehr zu nutzen, sogar bis Basel, und ich war ja noch nie in der Schweiz (Sowieso scheint der Nahverkehr hier sehr menschenfreundlich zu sein, Besitzer einer Zeitkarte (z.B. Jobticket) können in den Sommerferien ebenfalls in ganz Baden-Württemberg herumfahren). Meine Leseliste richtet sich nach dem, was mir begegnet: Indisches Springkraut, Sonnenblumen(felder) und roter Sandstein (das Rathaus in Basel). Das indische Springkraut wird auch Bauernorchidee genannt und tatsächlich muss ich als erstes an Orchideen denken, als es mir am Wegesrand begegnet. Es stammt vom indischen Subkontinent, wurde im 19. Jahrhundert als Zierpflanze hier eingebürgert und bildet nun ein Neophyt, der als invasive Art vielfach bekämpft wird. Tatsächlich wuchert es an allen Ecken und Enden, ist aber sehr schön.

Während der Zugfahrt nach Basel fahre ich an vielen Sonnenblumenfeldern vorbei. Ihre Samen wurden 1552 von spanischen Seefahrern nach Europa gebracht. Ich lerne, dass diese sehr viel Kohlendioxid binden, eine große Pflanze bindet pro Tag das in einem Raum von 100 Kubikmetern vorhandene Kohlendioxid. Sie haben ihr maximales Wachstum bei einer Temperatur von 20 Grad, was erklärt, dass meine in diesen Jahr, in dem der Sommer mehr ein Herbst ist, so spärlich wachsen. Darüber hinaus richten sie sich nach der Sonne und nach Mittag aus, sind also Kompasspflanzen (andere Kompasspflanzen drehen sich bewusst von der Sonne weg, um nicht zu verbrennen). Diese Sonnenanbetung nennt sich Heliotropismus.

In Basel selbst beeindruckt mich vor allem das Rathaus, das aus rotem Sandstein gebaut wurde. Trotz Dauerregen leuchtet es intensiv im Stadtbild. Ich vermute, dass es sich um roten Mainsandstein handelt, der in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg vorkommt. Recherchen ergeben, dass es sich um Wiesentaler (Schopfheim) Sandstein handelt und der Mainsandstein nur zum Flicken verwendet wurde. Sandstein ist ein Sedimentgestein, dass zumindest aus 50% Sandkörnern besteht. Er besteht also aus Kleinsttrümmern verwitterter und abgetragener Gesteine und entsteht durch Verkittung. „Durch den Auflastdruck der jüngeren, überlagernden Ablagerungen sowie durch Ausfällung von Mineralen, die im Meer- oder Grundwasser gelöst sind, oft auch durch die im Sandstein selbst enthaltenen Minerale kommt es zur Verfestigung (Diagenese) des Sandes. Dieser Prozess läuft unterschiedlich schnell ab und dauert zwischen wenigen Jahrzehnten und mehreren Millionen Jahren.

Was sich bei dem nassem Wetter sehr bewährt hat: Ein zusammenfaltbarer Wasserkocher und ein zusammenfaltbarer Becher für den Tee zwischendurch. Was für ein August.

Frankfurt

Der Mensch braucht Rituale und ich chinesischen Dumplings von Aunt Zongs Noodle Bar am Frankfurter Hauptbahnhof. Dauerhafte Frankfurt-Erinerungen: Die erste Wikimania 2005, die Zeit als P. hier ihr Referendariat gemacht hat & ich öfter „kurz“ für’s Wochenende von Hamburg nach Frankfurt fuhr, unsere Besuche im Palmengarten, die hausgemachte Limonade bei Die-Kuh-die-lacht. Später dann Offenbach, die Dachterase in dem Haus von R. Und eben chinesischen Dumplings. Ich mag sie am liebsten gekocht, es gibt sie aber auch dedämpft, fritiert oder gebraten. Die Herstellung ist denkbar einfach, der Teig besteht nur aus Mehl, heißem Wasser und Salz. Und Dumplings und Empanadas brachten mich auf die Teigrolle, die 10 Mal besser ist als ein Nudelholz.

Frankfurt: Presroi, Kellerkind and Zenogantner preparing the welcome desk at Wikimania 2005. Photo: Dirk Ingo Franke CCBYSA 2.0

Die Flutkatastrophe sitzt mir im Nacken und ich habe zu wenig geschlafen, aber wegfahren hilft für Abstand. Ein paar Mal notiere ich die Tage „Ich wil einen Liebhaber und ans Meer fahren.“, weil mir alles zu viel ist. Praktischweise kann man auch ohne Liebhaber nach Frankfurt fahren, es wäre mir auch zu viel, jetzt noch einen auftreiben zu müssen. Im Palmengarten soll der Titanenwurz blühen, lese ich auf der Hinfahrt. Also muss ich dort hin. Ein bisschen erschreckt mich, dass er nach Aas riechen und Wärme produzieren soll – damit er Käfer anlockt, die für seine Bestäubung sorgen. Der Palmegarten feiert darüber hinaus sein 150jähriges Jubiläum (Er wurde seinerzeit aus tropischen Baum- und Pflanzenbestände der Orangerie von Schloss Biebrich gegründet).

Titanenwurz im Frankfurter Palmengarten

Am nächsten Tag angekommen, nehme ich den Geruch vor allem als süßlich wahr. Ich habe keine Ahnung wie Aas riecht. Ich war schon mehrere Male in der Pathologie, aber Menschenleichen riechen deutlich strenger und sind vom Geruch her kaum zu ertragen. Besonders beeindrucken mich anschließend vor dem Tropengewächshaus diw Nelumbo nucifera, die indische Lotusblume. Ich hatte mir Lotusblumen wie Seerosen immer wassernah vorgestellt, aber die Blüten ragen auf Stengeln weit aus dem Wasser heraus. Wunderschön und seltsam die Lotussamenkapseln, die wie Duschbrausen aussehen.

Indische Lotusblume