Ich war von der Ruhe überrascht. Obwohl die Abtei in der Stadt liegt herrschte im Gastflügel eine Ruhe als wäre man im Wald. Ein Wochenende „Wie in dieser Welt als Christin oder Christ leben“ in der Abtei. Bruder Y. war 35 Jahre Richter am Amtsgericht, dementsprechend war alles gut strukturiert und glitt nicht in Gefühlsduseligkeit ab, wobei ich wieder die Unterschiede zu den von Kindheit an Sozialisierten merkte. Während ich eher mit „Was können wir alles tolles machen?“ hinging, ging es bei den anderen doch viel darum, wie man das Schrumpfen der Christenheit in Europa erlebt. Zum Teil auch verständlich, gerade bei denen auf dem Land, wo kleine Pfarreien zu riesigen Pfarreien zusammengelegt werden und dann alle paar Monate ein aus Indien importierter Pfarrer vorbeischaut (wobei man deren Dienst gar nicht genug hochschätzen kann) und es kein richtiges Gemeindeleben mehr gibt. Zuweilen dann doch einiges sehr intensiv, aber das soll hier nicht Thema sein. Viel auch als Thema, was man macht, wenn man angegriffen wird, aber auch da bin ich wahrscheinlich noch so frisch, dass ich mit dem Gegenhalten keine Probleme habe. Aber ich kann ja eh nie die Klappe halten. Das Mit-Leben im Kloster kannte ich ja schon aus Maria Laach, zum Glück gibt es hier nur abends Schweigen und Tischlesung beim Essen im Refektorium und mittags kann man sich mit den Mönchen unterhalten. Wobei ich auch die Tischlesungen immer sehr genieße. Es ist einem freigestellt, ob man am Stundengebet teilnimmt oder nicht. Ich tue es aber, bis auf eine Komplet, weil ich den Eindruck hatte, für mich sein zu müssen und zu schreiben. Das letzte Mittagessen verpasse ich, weil ich Richtung Hannover weiter muss und am nächsten Tag nach Walsrode. Ein Seminar zu „Rechtswirksames Schreiben für betriebliche Interessensvertretungen“. Die Deutsche Bahn macht die Anreise wie erwartet schwierig. Das Verdi-Haus liegt etwas außerhalb in der Nähe des Vogelparks mitten im Wald. Im Sommer muss es traumhaft sein, Ende Oktober wird man mit tagelangem norddeutschem Sprühregen beglückt in dem sich aber auch spazieren gehen lässt. Dafür hat das Haus eine sehr schöne Sauna, die dann mehr zum Wetter passt. Wegen der Feiertage wurde das Seminar auf 3 Tage gekürzt, dementsprechend dicht ist alles und ich merke am zweiten Tag auch, dass mein Bedürfnis nach sozialer Interaktion langsam gedeckt ist: Reden beim Frühstück, reden im Seminar, reden beim Mitagessen, wieder Seminar, Kaffee, Seminar, Abendesse ggf. hinterher noch was trinken. Zurück in Hannover besuche ich die Basilika St. Clemens, die mir mit ihrem weißen Innenraum und den abstrakten Figuren sehr gefällt. Eine junge Frau verweilt in der eucharistischen Anbetung, dementsprechend laufe ich nicht rum und fotografiere nur dezent: Ich hasse das selbst, wenn ich im Gebet bin und Touristen laut redend und türeknallend durch die Kirche latschen. Besonders auch eine Maria-Staue mit Jesuskind und Heiliger-Geist-Taube. Aus irgendeiner Hinterhältigkeit heraus ist der Leysieffer-Laden geschlossen. Keine Meersalzschokolade für mich. Morgen Heimreise.
Archiv der Kategorie: life in germany
2023 in 33 Punkten – rekonstruiert an iPhoto
- In Rom beklaut worden / Toten Papst gesehen
- Aachener Dom
- Postkartenausstellung Altonaer Museum
- Beckmann Ausstellung München
- A. Geburtstag, Mama das letzte Mal gesehen
- Tagesausflug Cochem
- Mallorca
- Mama tot
- Tagesausflug Travemünde
- Geburtstagsbrunch mit J., S. und J.
- Tagesausflug Köln
- Konzert Saif Al-Khayyat
- CGs Ausstellung
- Wochenende Wuppertal
- Mamas Beerdigung
- Brunch mit J.
- Edelgurts Grab
- Mosel-Grillen mit A., K. und S.
- Erste-Hilfe-Kurs mit G.
- Eigenes Grab in Ohlsdorf / Grabstein CG
- Universitäts-Konzert mit S.
- Weinberg-Wanderung
- Garten der Frauen / Ohlsdorf
- Wittenberg / Luther / Cranach / Melanchton
- Madeira
- Neuberufenen-Workshop Ludwigshafen
- Aqua-Fitness-Weiterbilung / DLRG
- Tagesausflug Kyllburg
- Paris
- Domgang mit Puck
- Streik
- X-Mas-Garden Koblenz mit A.
- Travemünde / S. nach 15 Jahren wieder gesehen.
Hamburg
Auf der Hinfahrt sehr ruhig. Konzentriertes Arbeiten macht die Fahrt kurzweilig. Am Nachmittag auf der Fuhslbütteler Straße dann plötzlich schwere Durchfälle, die mich direkt auf der Straße überkommen. Eine Situation, die ich in diesem Leben bitte nicht noch einmal erleben möchte. Ich habe die Zuckerersatzstoffe in Verdacht, von denen ich weiß, dass ich sie nicht essen darf. Zum Glück habe ich Waschmittel eingepackt, allerdings nur eine Hose, die der Hotel-Fön trocknen muss. Ich plane für den Rest des Abends „irgendwas mit Ruhe“, aber CG1 meldet sich spontan und wir videokonferieren fast 2 Stunden. Ich darf ihn nicht Komplett-Freak nennen, weil er für 10.000 Euro Fahrräder gekauft hat, weil „Du bindest Leuten Gliedmaße ab, so kann man keine Männer kennenlernen“.
Samstag Vormittag in die Stadt. Obwohl der Magen immer noch flau ist, esse ich Grünkohl, man weiß ja nicht, wann und ob man im Süden wieder was bekommt. Im Hotel dann aber doch 2 Stunden Mittagsschlaf, der Körper ist irgendwie kaputt. Zu A1 zur Geburtstagsfeier. Ihr Mann schnallt nicht, dass das ihre Gäste sind und dirigiert stundenlang die Unterhaltung. Keine der Anwesenden weiß, warum die beiden immer noch verheiratet sind, aber Ehen sind komische Gebilde, deren Funktionsweisen sich Dritten nicht immer erschließen. Nach dem Essen verpieseln wir uns als Damen-Clique auf den Dachboden, wo A. ein ausgebautes Arbeitszimmer hat und lassen den Ehemann vor dem Fernseher. Dann beginnt die eigentliche Party. Wie zu Jugendzeiten, irgendwie.
Am Sonntag bei der Mutter zum Frühstück. Wir schauen alte Fotos, aber vieles erkennt sie nicht mehr. Nachmittags mit dem Bus an einen See, ein bisschen laufen, soweit sie kann und Kaffee trinken. Es ist immer noch eisig kalt.
Am Montag der Versuch, die Al-Nouri Moschee zu zeichnen. Die Rückfahr-Route wird von der Deutschen Bahn umgelegt, aber wie ein Wunder komme ich doch pünktlich an.
Zu Hause den Herzschmerz nicht mehr aufschieben können. Ich war ja froh ein paar Tage fliehen und aufschieben zu können und mich den Dingen nicht stellen zu müssen. Das geht jetzt nicht mehr. Mensch, Du siehst so traurig aus, sagt A2. heute in der Mittagspause. Manchmal ist das eben so, sage ich. A. auch: Ich finde das ganz schön mutig! Und: Ist doch gut, dass das jetzt geregelt ist, dann kannst Du das wegstellen. Ich verspreche ihr besser drauf zu sein, wenn wir morgen ausgehen. Frage mich später, was einen eigentlich traurig macht. Die nicht stattgefundene Zukunft, denke ich. Frau W., Sammlerin nicht stattgefundener Zukünfte (Plural?).
Nichts tun
Samstage an denen ich nichts mache oder: Was ich mache, wenn ich mal „nichts“ mache, because of „What a week, uh!“. Zum Bäcker & Schlachter, Küchenschrank aufräumen, surfen, Karten zeichnen, Fotobuch 2022 abholen, Ohrringe shoppen, Nägel lackieren, Haare waschen, The Makani auf Netflix schauen, Vikings auf Netflix schauen, Rückentraining online machen, Tagebuch schreiben, Kochen, Bloggen, Italienisch üben.
(Habe jetzt einen Online-Rückenkurs bei der Krankenkasse gebucht. Die wollen natürlich vor allem Daten sammeln (Wie oft in der Woche machen Sie noch Sport?), aber der Rücken merkt sofort, dass das sehr gut ist. Schwimmen reicht offensichtlich nicht).
Morgen ein Twitter-Blind-Date mit R. Freue mich. Er ist neu in der Stadt und kam der Arbeit wegen nach Trier (so wie ich). Er forscht zu „Rhetorikrelevante Muster von Karikaturen in Satirezeitschriften des 19. Jahrhunderts“. Bin sehr gespannt. Später dann ein Online-Treffen mit Frau Mama, der italienischen Konversation halber. Ich müsste noch ein bisschen lernen, um nicht ganz deppert dazustehen (Das Italienische verlässt mein Gehirn sobald der Unterricht vorbei ist.)
Holterdipolter in 2023
Die Nacht über schwere Durchfälle, die wohl auf die luftgetrockneten italiensichen Nudeln zurückzuführen sind (?). Trinke schwarzen Tee, esse Banane, reibe einen Apfel, später noch eine Gemüsebrühe. Außer Einkaufen passiert heute nicht mehr viel, denke ich.
Das Jahr beginnt holperig und verpeilt. Kaufe eine Bahnfahrkarte für in zwei Wochen auf das aktuelle Datum & kann natürlich nicht mehr kostenfrei stornieren. Die bestellten BH’s bei Amazon bestelle ich etliche Nummern zu klein. Ich lerne, dass man den Kram in jeder Postfiliale einfach unverpackt wieder abgeben kann, wenn man einen QR-Code von Amazon mitbringt. Die packen das dann ein und senden es an Amazon zurück. Die neue Blumenvase lasse ich prompt 10 Meter nach dem Verlassen des Geschäftes mit der Tasche fallen. Der junge Verkäufer ist lieb, als ich trostlos schauend das nächste Exemplar an die Kasse schleppe: „Wir tun einfach so, als wäre die Vase hier im Geschäft kaputt gegangen und ich schreibe das dann ab.
„Ich wüsste gar nicht, was ich da drin habe„, sagt A. am Telefon, als ich von der gestohlenen Brieftasche erzähle. Und ich merke, dass mir das auch so geht. Einiges habe ich komplett verdrängt, zum Beispiel den Organspendeausweis. Also ab in die Apotheke, da ist ja schon der neue. Diese ganzen kleinteiligen Dinge, die mich die Woche über beschägtig haben.
Italien hängt mir noch nach. Irgendwie ist es niedlich wie der aktuelle Papst das Angelus immer mit „buon pranzo e arrivederci“ beendet (Gutes Mittagessen und Auf Wiedersehen!). Jetzt auf dem Reisezettel: Aachen, Hamburg, München. Aachen hat ein ganz wunderbares Jugendstilbad, das ich unbedingt erschwimmen muss. Und den Dom, natürlich. Ich erinnere mich auch an ein gutes, türkisches Restaurant in dem ich vor Jahren mal war. Das Müller’sches Volksbad in München ist natürlich auch großartig, da war ich 2018. Die botanischen Gärten und der Schlosspark Nymphenburg sind im Februar vielleicht etwas karg, möchte ich aber trotzdem sehen. Oder Herr Rmr geht mit mir in die Beckmann-Ausstellung (er weiß nur noch nix davon). Aufbruch und Reise passen ja ganz gut.
Ich müsste noch putzen für den Besuch morgen, aber das geht sicher auch noch morgen. Jetzt erst mal Gemüsebrühe.
Halber Oktober.
Die Herbst-Handlungen: Briefe und Karten schreiben (und zeichnen), Bücher lesen, Serien auf Netflix schauen, Kürbis kaufen, ein Gulasch kochen, Liedtexte von Fairouz auswendig lernen. Ich schreibe einen längeren Brief an M. und realisiere, in was für einer Mausradbewegung ich mich eigentlich befinde. Ausdünnen also. So weit das möglich wäre: An den Wochenenden noch eine Sanitätsübung, ein Erste-Hilfe-Kurs, ein Besuch in Hamburg.
An einem Freitagabend stolpere ich per Zufall über Tank 9 – ein Industrial Dancer und Youtuber, der offensichtlich irgendwann komplett von der Bildfläche verschwunden ist. Ich hatte ihn schon vergessen. Noch nach Jahren laden irgendwelche Leute seine Videos hoch. Irgendwann schreibe ich eine Hommage an alle, die das Netz mit ihrem Scheiß wunderbar machen. Trotz alledem. And to hell with the silcence we are living in.
Traurige Musik-Nachrichten: Die Auflösung von Mashrou Leila. Die Band hat mich gut 10 Jahre begleitet. Sie war der Sound des Arabischen Frühlings. Die Morddrohungen gegen die Band (auch gegen das Publilum), Corona, die Bankenkrise im Libanon. Die beiden letzten Konzerte, die ich besucht habe, waren Mashrou Leila Konzerte. Einmal Heidelberg, einmal Köln. Ich war mir so sicher die Band noch einma zu sehen. Zwei Wochen später stirbt dann Ahmed al Shaiba bei einem Autounfall in New York. Er war ein bekannter Oud-Spieler in der amerkanischen Jemeniten-Community. Im August hatte er sein erstes Album veröffentlicht.
Telefonieren, WhattsApp-Nachrichten schreiben. Die Mutter erinnert sich nicht, was sie letzte Woche noch wollte, bei Bruder und Schwägerin ist immer alles schwierig. Ich soll das alles koordinieren (oder mache es, weil sonst nichts zustande kommt), 600km weiter weg.
Habitustransformationen: Was ich machte, als ich entfristet wurde: 1. Mich in den Personalrat wählen lassen (Yalla Klassenkampf!) & 2. ehrenamtlich Sanitäterin werden. Was man mir häufig übel nimmt, ist nicht die Herkunft aus bildungsfernen Schichten, sondern die Weigerung, das zu kaschieren. Also das doch zumindest mit Scham zu behandeln.
25 Jahre später: Natürlich hat er zugenommen, ist älter geworden. Wir treffen uns am Schanzenbahnhof, obwohl wir beide uns hier gar nicht mehr auskennen. Mir kommt seine Sprache seltsam vor, als würde er irgendwie nuscheln. Ich mag nicht fragen, ob er etwas hat, ein Gebiss vielleicht. Eineinhalb Stunden später sagt er: Ich hatte letztes Jahr einen Schlaganfall. Es sei nicht so wie alle immer sagen, man würde es gar nicht merken. Er hätte einen lauten Knall in seinem Kopf gehört, dann hätte er sich übergeben. Zum Glück waren die Kinder da, er kam schnell ins Krankenhaus. So nah sind diese Dinge jetzt also. Danke, dass Du an mich gedacht hast, sagt er später, als wir am Schlump auseinander gehen. Die Begegnung hängt mir noch nach.
Am nächsten Tag Familie dann: Ich habe ein schlechtes Gewissen, was meine Ungeduld betrifft. Und dass ich mehr für sie Liebe haben sollte. Sie hatte sicher auch keine Lust meine Windeln zu wechseln. Aber alte Menschen und kleine Kinder strengen mich an. Und sie ist eben auch in Vielem schwierig und verklärt ihre Kompliziertheit als Eigenständigkeit. Und ihre Negativität kostet mich bei jedem Treffen Kraft. Mein Bruder ist schlecht, meine Schwägerin ist schlecht, ihr Lebensgefährte ist schlecht, der Urlaub war schlecht, I. ist schlecht und S. sowieso (undsoweiterundsoweiter). Zum Schluss schon lustlos die Fahrkarte für die nächste Runde gebucht. Wieder denken: Ich sollte froh sein, wenn ich sie überhaupt nochmal lebend sehe.
Schönes und Entspannendes: Ein Hörbuch auf Youtube von einem Menschen, dem ich per Zufall auf einem Kongress über den Weg lief. Spannende Geschichte, die sich selbst nicht überernst nimmt. Ich komme noch immer nicht über den wildgewordenen Elefanten hinweg :D. Seltsame Begegnung sowieso: Auf dem Kongress erst gedacht: Gute Güte, was ist das denn für ein blöder Schönling? Google sagt mir dann: Achso, der ist gar nicht blöd. Wie funktioniere ich eigentlich? Spannendes zu Lern- und Lernbiographien auch. Biographieforschung hat mich ja schon immer interessiert und Lernen sowieso. Jaja, schon gut,ich tue Buße…
Enger September
Ein viel zu voller September von dem ein Plakat, ein neues Beratungsformat, eine Bescheinigung als Sanitäterin und ein neuer Mitarbeiter zurückbleiben werden. Für den Rest des Jahres nichts mehr auf den eh schon gut gefülltem Kalender packen, aber -jaja- schnell noch „Rom“ vielleicht. Nach der Wahl der Faschisten dann das Unwohlsein bezüglich dieser Entscheidung.
Jede/r projiziert in die Prosteste im Iran das hinein, was ihm/ihr am nächsten ist. Für mich ist es die Tishreen-Revolution im Irak 2019. Die Toten, die wochenlange bizarre Gewalt. Tränengasgranaten werden direkt in die Köpfe der Menschen geschossen. Das Internet immer wieder abgeschaltet, viel zu wenig Reaktionen in den Medien. Wochenlange Versuche zumindest auf Twitter eine Öffentlchkeit herzustellen. Ich habe die Videos der rauchenden Köpfe gesehen. Etwas ist kaputt gegangen damals, was nicht repariert werden kann.
Was deprimiert: Der unterschwellige Gedanke, dass auch dieser Protest scheitern wird. Das ist nicht gut.
Meditiere seit langer Zeit mal wieder regelmäßig, ruhiger und fokussierter deshalb. Die irrwitzige Wut, die den Sommer immer wieder mein Begleiter war, reduziert sich auf ein erträgliches Maß. S. und A. sprachen mich schon darauf an: Meine ständigen Konfrontationen wären nicht zielführend. Im Grunde sind es Distanzierungstechniken: Ich kann die Wut auf einen Tisch neben mich legen und anschauen. Das erste was sie ausspuckte war eine Liste an Tritten, begonnen bei der Tishreen-Revolution bis heute. Mal sehen, was noch kommt.
Handfestes und Wärmendes: Theorie mit 35/35 richtigen Fragen bestanden, zwei Szenarien (Nesselverbrennung/Bauchverletzung) und Herz-Lungen-Wiederbelebung mit Guedel- und Larynxtubus bestanden. Jetzt offiziell Sanitäterin. Es gilt also die Freistellung bei Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Nothilfe. Mir privat eine Beatmungsmaske und ein manuelles Blutdruckmessgerät zugelegt. Im Einsatz wird nur manuell gemessen, was man üben muss. Es lärmt um einen herum und das „klackern“ des Blutdruckes ist nicht leicht zu hören. Die Beatmungsmaske habe ich lieber, weil ich auf direkte Mund-zu-Mund-Beatmung während Corona gut verzichten kann (und eigentlich auch sonst immer).
Von der Grünzeugfront gibt es wenig Neues: Gewachsen ist eine Platterbse aus Samen. Für Setzknoblauch bin ich zu spät, der Gärtner empfiehlt mir einfach Knollen aus dem Supermarkt. Ich setze acht Zehen, sowohl gespannt als auch skeptisch. Die Chili-Pflanzen, die ich letztes Jahr aus einfachen Samen der Supermarkt-Schoten gezogen habe sind eher kümmerlich.
Zuletzt: Mein Arabisch-Konversations-Kurs entfällt wegen Teilnehmermangel, va bene perché posso imparare di più l’italiano. لكني أيضا أحب اللغة العربية كثيرا
Sound of the city
Ab Münster gibt es so etwas wie grün, dass das Herz erleichtert, die abgestorbene Vegetation in Trier hat mich emotional belastet. Auch spürt man Natur hier ja eh nicht so, da es eine Großstadt ist.
Treffen mit J. im Park. Die Leichtigkeit mit der wir Gespäche führen und die Leichtigkeit mit der wir aneinander anknüpfen können, auch nach längerer Zeit der Abwesenheit, die ist sehr wohltuend. Sie wirkt sehr müde, der Job als Kindergärtnerin, 2 Corona-Infektionen kurz nacheinander, sie ist jetzt Mitte 50. Die Kirchenleitung sagt, sie könne ruhig mal eine Kur machen, aber ihr Pflichtbewusstsein schafft das nicht. Ich rede auf sie ein, sehe aber, dass das sinnlos ist.
Am nächsten Tag die andere J., J2. zur Mittagspause. Ebenfalls Mitte 50, voller Tatendrang: Lässt sich gerade scheiden, hat mit ihrem neuen Freund ein Haus in Südfrankreich gekauft, für sich selbst aus dem Scheidungsgeld + Kredit ebenfalls ein kleines in Billstedt. Eine Anlage soll es ein, damit die Söhne später etwas haben. 30 Jahre mit einem sehr gut verdienenden Ingenieur verheiratet, immer auf hohem Standard gelebt, Häuser, teure Reisen.
Die Klassenunterschiede der J’s. Lieben tue ich beide.
Wir reden über Prioritäten für diesen Winter, denn auch wir werden uns einschränken müssen. J2 ist mir sehr ähnlich, sie liebt Reisen und Sprachen. Ich könnte eher auf das Heizen von Zimmern verzichten als auf das Herumfahren.
Am Abend Spaziergang am Hafen.
Dienstag Abend dann Bruder und Schwägerin. Familiengeschichten, die Sorge um die Mutter. Auch hier keine Pläne bezüglich politischer Aktivitäten im Herbst, es ist sehr deprimierend. Erstaunen auch darüber, in den letzten Wochen zu viele Gespräche mit Menschen gehabt zu haben, die ich als erheblich politischer einschätze als mich selbst: Alle demotiviert, alle kein Plan. Mir selbst Grundlagen der Geopolitik von Dugin bei Amazon in Englisch geladen. Das Buch ist furchtbarer (oder so furchtbar) wie angenommen: Esoterischer Quatsch mit Erd- und Wasserkräften, gepaart mit Raumphantasien a la Volk ohne Raum. Es wäre skurril, wenn es nicht so gefährlich wäre. Völliges Unverständnis darüber, dass Teile der Linken diesen Quark auch noch in abgespeckter Form verbreiten.
Geräusche, die es in Hamburg nicht gibt: Glockenläuten.
Geräusche, die es in Trier nicht gibt: Das Bremsen der U-Bahn
Dürre-Gang
Beschlossen, das 9-Euro-Ticket für einige After-Work-Wanderungen zu nutzen. In der Bude hocken und Bücher lesen kann ich auch im Winter. Nach den langen Phasen des Homeoffice mag ich auch nicht allzu viel zu Hause sein. Ich starte mit der Eifel-Strecke, die nach der Flut bis Kyllburg für den Zug wieder befahrbar ist. Als ich in Daufenbach aussteige, sagen mir zwei ansässige Hippies, dass die Fußgängerbrücke nach Kordel noch nicht wiederhergestellt sei, ich könne aber über die Eisenbahnbrücke laufen, sie würden das auch immer machen. Dafür bin ich zu feige und fahre eine Station zurück und laufe dann von Kordel an der Mariengrotte vorbei Richtung Butzenbachtal. Als ich dort ankomme wird es schon dunkel und ich setze mich nur noch 15 Minuten auf eine Bank, lausche der Stille und blicke auf ein Feld von drüsigem Springkraut, das hier wie überall vor sich hin wuchert.
Am nächsten Tag von Pfalzel an der Mosel Richtung Trier. Die Route ist nicht gut gewählt, weil um diese Tageszeit so gut wie schattenlos. Ich bin erstaunt wie viel Kraft die Sonne um 18 Uhr noch hat. Ich muss an einzelnen schattigen Plätzen, die ich auftreiben kann, jeweils pausieren. Ich habe nur einen halben Liter Wasser und keine Kopfbedeckung. Einen Teil des Wassers verteile ich auf Arme und Hals, wenigstens etwas Verdunstungskälte. Ein junger Mann läuft in etwas Abstand vor mir, ansonsten nur Radfahrer, die den Fahrtwind genießen. Ich teste das erste Mal eine Wander-App: Outdooractive. Gefällt mir ganz gut.
Am Abend mit K. über die Eindrücke der Dürre geschrieben. Weiß gar nicht wie man mit anderen darüber reden soll, damit es nicht nur anekdotisch ist, schreibt er.
Die Wälder in der Eifel sind streckenweise sehr angegriffen. Der Rhein bei Koblenz ggf. nicht mehr befahrbar. Die Winzer sagen, wenn es im August keinen Regen gibt, dann ist die Ernte für dieses Jahr hin. Der Baum auf meinen Straßenbeet hat braune Blätter. Seit Wochen brennt es täglich um Trier, die Feuerwehren leisten immenses. Ich halte mich daran fest, dass es nächstes Jahr besser sein wird. Was sollte ich auch sonst machen? Wer kann schon fassen, dass wir uns tatsächlich selbst beim Verdunsten zusehen? Und: Nach 300.000 Jahren Mensch lande _ausgerechnet_ich_ in dem Aussterbens-Zeitspalt.
Am Schreibtisch: Die Zoom-Lizenz gekündigt. Überlegungen,, was gespart werden kann, um die Energiepresierhöhung im Winter abzufangen. Ich war nie gut im Umgang mit Geld, hatte noch nie einen Überblick. Habe das Konto allerdings auch noch nie überzogen. Andere haben aufwendige Aufstellungen.
Zwischendurch das Attentat auf Rushdie. Die Statanischen Verse aufs Kindle geladen, anstrengend zu lesen, aber auch unterhaltsam. Niemand Offizielles kritisiert den Iran, vielleicht möchte man noch Geschäfte mache. Fast zeitgleich ein völlig merkbefreites Meinungsstück in der TAZ bei der die Autorin allen ernstes behauptetet, der Prostest von Iranerinnen gegen den Hijab sei eigentlich nur Ausdruck westlicher Ideologien. Dieses Framing muss man erst einmal hinbekommen, angesichts der Tatsache, dass die Aktivistinnen ihre Unversehrtheit aufs Spiel setzen und natürlich im Knast landen können.
Sonntag dann von Kasel nach Tarforst. Das Ruwertal ist kälter und feuchter als der Rest der Gegend und somit noch hinreichend grün.
Auf der anderen Seite auf der Anhöhe ein wunderbarer Blick über Tarforst. Ruhe auch, das Leben hält die Klappe. Hier allerdings wieder verstärkte Trockenheit. Ich komme nicht damit klar, dass ganze Bäume vertrocknen und es sind nicht einmal junge.
Zu Hause dann Fotos sortiert. Schon 2593 dieses Jahr. Auch hierbei fällt mir auf, wie warm es schon im Januar war, ich habe gegen Ende schon die ersten Blumen raus gesetzt. Und das waren keine Krokusse.
Sommerkämpfe
Im Kampf mit der Trockenheit Samen für Natternkopf bestellt und ein Buch mit dem passenden Titel Garten ohne Gießen. In Wahrheit steckt dahinter die heimliche Hoffnung, dass, wenn ich das Beet nächstes Jahr wüstentauglich mache, der Sommer verregnet wird.
Erstmals Bekanntschaft mit Brennhaaren einer Raupe gemacht, der Ausschlag am Oberschenke sieht interessant aus. Für den Eichelprozessspinner ist es eigentlich zu spät, es könnte ein Widderchen gewesen sein. Der daraus entstehende Schmetterling ist wunderschön, also vergebe ich.
(Edit: Rausgefunden, dass die Raupen des Eichelprozessionsspinners doch bis Juli unterwegs sein können).