Archiv des Autors: Anneke

Hamburg, Februar

J. sagt die Verabredung für Samstag ab. Ihre Weigerung sich krank schreiben zu lassen hat ihr eine Lungenentzündung beschert. Ihre Schwester bestand auf einen Arztbesuch und nun ist sie eben doch zu Hause. Mit der Mutter im Stadtpark. Das Laufen ist ihr mühselig, wie jetzt alles mühselig ist. Aber ihre Stimmung ist stabil und das erleichtert mir den Besuch. Die Cafes sind alle in Winterpause, das kenne ich so nicht, vielleicht eine Folge von Corona. Mit Bruder und Schwägerin im Altonaer Museum, eine Ausstellung über Künstlerpostkarten. Ich lerne, dass das Altonaer Museum über 500.000 Bildpostkarten hat. Das war mir nicht bekannt.“Ja, es passieren ja auch immer weniger Geschichten um einen herum“ sagt die Schwägerin als wir über Ideen für Zeichnungen sprechen. Sie ist kaum älter als ich und mir macht das Angst. Ich für meinen Teil brauche ja eine Geschichte, ich kann mit reinen Formen etc. nix anfangen, vielleicht als Handwerksübung, das ja. Die Schwägerin verweist mich auf sketchbook.hamburg, ich solle ein Skizzenbuch machen und da einreichen. Aber ich mag das Postkartenformat und es hält mich auch bei der Stange. Ich hatte mal ein Skizzenbuch angefangen, das schlief aber sehr schnell wieder ein. Ich möchte auch gar nicht Bestandteil einer Ausstellung sein, merke ich dann.

Wieder daheim: Der Italienisch-Kurs geht vielleicht nicht weiter, was mir im Moment ganz recht ist. Die vielen Personen in mir, mit all ihren Interessen zerreiben mich gerade. Auch daraus eine Postkarte gemacht. Später sind mir mindesten noch 2 weitere Personen eingefallen (Schwimmerin, Internetlebensform), die auch zufrieden gestellt werden wollen. Weitere Samen besorgt. Festgestellt, dass die Samen der Dattelpalme mindestens 2-5 Monate brauchen, um zu keimen. Außerdem gelernt: Bäume kommunizieren über Pilze und Springspinnen träumen. (Unbedigt zeichnen: Die träumende Springspinne).

Es herrscht Gedrängel

Nächste Woche München. Ich habe ein Date mit Kerleone. Nach 18 Jahren, man fasst das gar nicht. Grabe alte Posting über blogmich05 aus und die wunderbaren Fotos von Ralph Segert. Immer gedacht, man sollte das 2025 wiederholen, aber sowas lässt sich nicht wiederholen und wenn, wäre es nur wie so ein blödes Klassentreffen. Außer irgendwer hätte eine Idee wie man ein cooles Klassentreffen macht (Will jedenfalls nicht akzeptieren, dass wir jetzt alle alt und uncool sind). Dann noch ein Treffen mit Herrn G. Auch große Freude. Dass neue Leute hinzukommen ist ja vielleicht auch ein Zeichen, dass man noch nicht komplett verstaubt ist.

Der graue Januar

Die Computer meiner _beiden_ Online-Italienischlehrerinnen sind kaputt, weshalb meine Sprachkompetenz nur mäßig voran kommt. Auch ist unklar, ob der Kurs in Hamburg weiter geführt wird. Arabisch endete damals auch so: Es kamen keine Teilnehmer:innen mehr zustande. Mittlerweile unterrichtet jemand anderes an der VHS Trier Arabisch, aber ich kann mir nach 4 Jahren keine anderen Lehrer:innen außer Sarah und Khalid vorstellen. Um mich herum zu viel Krankheit, auf der Arbeit, in der Familie, bei Online-Bekannten. Alles in mir drängt nach Frühjahr und wlll diesen Januar hinter sich lassen. Ich habe auch schon Blumen-Samen bestellt. Fühle mich erschöpft, alles in allem. Was ich nicht kapiere: Warum ich immer noch kein Corona habe, obwohl ich langsam anfange zu schleifen, vor allem, was Restaurantbesuche angeht. Man soll es nicht herbeireden.

Schöne Momente: Bei der Arbeit ein neues Format eingeführt, eine 2-tägige Einführung in die Lehre für Promovierende. Eine dankbare Gruppe, alles sehr motivierte, vielversprechende junge Frauen, das macht mich ganz glücklich. Einen Antrag zur Förderung von eLearning-Modulen gestellt, der hoffentlich bewilligt wird.

Nach Jahren mal wieder in Aachen. Beim letzten Mal am Rande einer Konferenz, nur so durchgehuscht. Jetzt mal mit ein wenig Zeit. Komme im dicksten Schneegestöber an und kämpfe mich mit dem Rollkoffer durch den Matsch. Merke schnell: Wir mögen uns sehr, Aachen und ich. Ich habe den Dom größer in Erinnerung, aber er ist immer noch ausnahmslos schön. Das Antep Sofrasi gibt es auch immer noch und das Essen ist so gut, wie ich es in Erinnerung habe. Eine Entdeckung ist das Internationale Zeitungsmuseum, das lange geschlossen war und nun überwiegen von Ehrenamtlichen betrieben wird. Einer der zwei Hauptamtlichen lässt es sich nicht nehmen an der Kasse zu stehen und jedem Besucher erst mal eine persönliche Einführung in die Geschichte des Hauses und die Ausstellung zu geben. Sehr nett. Auf dem Rückweg im Zug neue Fallbeispiele für die Erste Hilfe ausgearbeitet, Samstag unterrichten wir Mitarbeiter:innen eines Autohauses.

Ich zeichne viel, aber was soll man machen, wenn man keine Blumen pflanzen kann? A. hat sich Keramik-Bemalen zum Geburtstag gewünscht, das schulde ich ihr seit November. Heute Abend also.

Nichts tun

Samstage an denen ich nichts mache oder: Was ich mache, wenn ich mal „nichts“ mache, because of „What a week, uh!“. Zum Bäcker & Schlachter, Küchenschrank aufräumen, surfen, Karten zeichnen, Fotobuch 2022 abholen, Ohrringe shoppen, Nägel lackieren, Haare waschen, The Makani auf Netflix schauen, Vikings auf Netflix schauen, Rückentraining online machen, Tagebuch schreiben, Kochen, Bloggen, Italienisch üben.


(Habe jetzt einen Online-Rückenkurs bei der Krankenkasse gebucht. Die wollen natürlich vor allem Daten sammeln (Wie oft in der Woche machen Sie noch Sport?), aber der Rücken merkt sofort, dass das sehr gut ist. Schwimmen reicht offensichtlich nicht).

Morgen ein Twitter-Blind-Date mit R. Freue mich. Er ist neu in der Stadt und kam der Arbeit wegen nach Trier (so wie ich). Er forscht zu „Rhetorikrelevante Muster von Karikaturen in Satirezeitschriften des 19. Jahrhunderts“. Bin sehr gespannt. Später dann ein Online-Treffen mit Frau Mama, der italienischen Konversation halber. Ich müsste noch ein bisschen lernen, um nicht ganz deppert dazustehen (Das Italienische verlässt mein Gehirn sobald der Unterricht vorbei ist.)

Holterdipolter in 2023

Die Nacht über schwere Durchfälle, die wohl auf die luftgetrockneten italiensichen Nudeln zurückzuführen sind (?). Trinke schwarzen Tee, esse Banane, reibe einen Apfel, später noch eine Gemüsebrühe. Außer Einkaufen passiert heute nicht mehr viel, denke ich.

Das Jahr beginnt holperig und verpeilt. Kaufe eine Bahnfahrkarte für in zwei Wochen auf das aktuelle Datum & kann natürlich nicht mehr kostenfrei stornieren. Die bestellten BH’s bei Amazon bestelle ich etliche Nummern zu klein. Ich lerne, dass man den Kram in jeder Postfiliale einfach unverpackt wieder abgeben kann, wenn man einen QR-Code von Amazon mitbringt. Die packen das dann ein und senden es an Amazon zurück. Die neue Blumenvase lasse ich prompt 10 Meter nach dem Verlassen des Geschäftes mit der Tasche fallen. Der junge Verkäufer ist lieb, als ich trostlos schauend das nächste Exemplar an die Kasse schleppe: „Wir tun einfach so, als wäre die Vase hier im Geschäft kaputt gegangen und ich schreibe das dann ab.

Die neue Vase

„Ich wüsste gar nicht, was ich da drin habe„, sagt A. am Telefon, als ich von der gestohlenen Brieftasche erzähle. Und ich merke, dass mir das auch so geht. Einiges habe ich komplett verdrängt, zum Beispiel den Organspendeausweis. Also ab in die Apotheke, da ist ja schon der neue. Diese ganzen kleinteiligen Dinge, die mich die Woche über beschägtig haben.

Spende auch Du deine Organe

Italien hängt mir noch nach. Irgendwie ist es niedlich wie der aktuelle Papst das Angelus immer mit „buon pranzo e arrivederci“ beendet (Gutes Mittagessen und Auf Wiedersehen!). Jetzt auf dem Reisezettel: Aachen, Hamburg, München. Aachen hat ein ganz wunderbares Jugendstilbad, das ich unbedingt erschwimmen muss. Und den Dom, natürlich. Ich erinnere mich auch an ein gutes, türkisches Restaurant in dem ich vor Jahren mal war. Das Müller’sches Volksbad in München ist natürlich auch großartig, da war ich 2018. Die botanischen Gärten und der Schlosspark Nymphenburg sind im Februar vielleicht etwas karg, möchte ich aber trotzdem sehen. Oder Herr Rmr geht mit mir in die Beckmann-Ausstellung (er weiß nur noch nix davon). Aufbruch und Reise passen ja ganz gut.

Ich müsste noch putzen für den Besuch morgen, aber das geht sicher auch noch morgen. Jetzt erst mal Gemüsebrühe.

Hasst Rom mich?

Das Jahr endete mit einigen Widrigkeiten: Die Menschen, die ich sehen wollte, waren woanders, in der Metro stiehlt man meine Brieftasche und dann starb auch noch der Papst. Ich lerne erst einmal einen wichtigen Satz: Ho bisignio di una denuncia furto (Ich brauche eine Diebstahlsanzeige). Ansonsten ist Rom einfach irrwitzig schön, ich bereue nichts.

Sowieso muss man jeden Ort mindestens zweimal bereisen. Das erste Mal benötigt man, um herauszufinden, wie alles so geht. Zum Beispiel, dass es im Café nebenan einen Hinterraum gibt, wo mittags kantinenartig Mittagessen serviert wird. Man bestellt an der Theke von der Auslage und isst auf einfachen Holztischen. Sehr schön.

Sachen die ich empfehlen kann: Park Villa Borghese, Nationales Museum für moderne Kunst, Castel St. Angelo, Galleria Borgehese (Tickets vorbestellen!). Generell einfach durch die Innenstadt laufen und durch die alten Kirchen gehen (z.B. St. Barbara dei Librai, Sant’Antonio dei Portoghesi). Gutes Streetfood gibt es bei Corner Pizza. Das Kolloseum, die Spanische Treppe und der Treveri-Brunnen sind sicherlich sehenswert, waren mir aber dann doch _zu_ voll. Die Vatikanischen Museen habe ich auf nächstes Mal verschoben.

Ich war zunächst unentschlossen, ob ich mir den toten Papst anschauen soll. Aber wann ist man schon mal Zeuge eines zeitgeschichtlichen Ereignisses? Als ich an ihm vorbeigehe, kommt es mir dann aber doch falsch vor: Er ist extrem klein und eingefallen, eigentlich nicht mehr so, dass man ihn öffentlich zeigen sollte. Auch mit dem ganzen Make-Up nicht. Das Drumherum ist natürlich sehenswert: Priester und Nonnen, Touristen mit Handy-Foto-Sucht, eine Frau, die eine italienische Fahne um die Schulter trägt und bitterlich weint.

Ich recherchiere einiges zu Ratzinger, da ich als Heide vom Papsttum nicht wirklich Ahnung habe. Kartoffel-Twitter natürlich wieder am rumnölen, zum Teil mit verstörenden Infos aka Kinderschänder-Unterstützer. Meine Recherchen ergeben, dass es währen seiner Amtszeit rund 500 Leute deswegen entlassen hat – und nicht nur versetzt, wie andere das so machen. Auch hätte er angeblich ein 9-jähriges Mädchen exkommuniziert – das wurde von der Kirche zwar dementiert, aber wen interessiert’s, wenn man einfach nur auf „Teilen“ klicken muss? In Interviews, die ich sehe, scheint er mir nicht blöd, wenn natürlich auch in vielem anderer Ansicht zu dem, was ich so denke. Jedenfalls hat das Genöle dazu geführt, mir ein Buch von ihm zu bestellen, um genauere Einblicke zu erhalten.

Zu Hause liebe Silvesterpost vom Schockwellenreiter. An alle Alt-Blogger (falls ihr hier mitlest): Jörg geht es gesundheitlich eher bescheiden, sie konnten nicht mal den Hund behalten. Wobei ich mir den Schocki ohne Hund gar nicht vorstellen kann. Whatever, er freut sich bestimmt über Post, klickt doch mal hier.

Zugnotizen

Warum sie immer was für andere machen würde und wann mal jemand etwas für sie, schreibt eine. Ich schreibe, das ist so, weil dass das Leben ist, das man haben will. Man will sich kümmern, um die Menschen, um die Welt. Und nicht bloß Arbeit und Fernsehen. Zwangsweise kostet das Kraft.

Am andern Tag, Madame A., fröhlich: Das ist ganz leicht!

Die Essgruppe in der Küche, noch aus Studienzeiten, ist nach 30 Jahren auseinandergefallen. Also eine neue für Januar bestellt.  Da ich zu den 5% der Deutschen gehöre, die nicht räumlich sehen können und somit kein dreidimensionales Vorstellungsvermögen habe, sind IKEA-Anleitungen für mich noch entsetzlicher als für andere Menschen. Die Kartons stehen in der Regel mehrere Tage herum bis ich mich aufraffe und unter stundenlangen Qualen und Fehlversuchen, Dinge zusammenbaue.

Madame A., fröhlich: Aber jeder braucht doch Hilfe!
Ich: Ach so.

Außerdem stellen wir fest, dass, wenn der Tisch aufgebaut ist, man da einen Raclette draufstellen kann. Es ist also abgemacht.

Engelchen

Am Wochenende mit der anderen A. mach Koblenz. Es ist saukalt, aber sie hat mich überredet, mir den Christmas Garden auf Ehrenbreitstein anzuschauen. Im wesentlichen Lichtinstallationen, ganz hübsch, aber für den richtigen Weihnachtsmarktkick muss man in die Stadt. A. kennt Koblenz nur aus dem Hochsommer, nur so kann ich mir erklären, dass sie bei diesen Temperaturen eine Vorliebe für einen Eisautomaten entwickelt. Gibt’s nicht, sage ich. Vorher stopfe ich Reibekuchen in sie rein. Sowieso dieses Jahr einen ganzen Weihnachtsmarkt-Marathon absolviert. Einmal mit der Arbeit (allgemein), einmal mit Chefin und Kolleg:innen, einmal mit einer Kollegin, einmal mit A. in Koblenz, einmal mit dem Personalrat und dann noch einmal mit Familie (to come). Was ich in den Region schätzen gelernt habe: Glühwein aus Weißwein. Schien mir als Fischkopp seltsam und eklig, ist es aber nicht.

Hamburg . Wir feiern mit der Familie wie letztes Jahr Weihnachten ein Wochenende vorher. Menschen, die das brauchen, schauen mich mitleidig an: Ach, dann bist Du Heiligabend ja ganz alleine, nein, also zu uns kannst Du leider nicht kommen (als wenn ich das wollen würde). Da es noch nach Rom gehen soll bin ich ganz froh, dass sich die Termine nicht stapeln. Ich gammel Weihnachten vor mich hin. Mit viel Essen.

Ich habe wenig Pläne für 2023, vielleicht weil dieses Jahr so viel war. Trotzdem kommt mir das mehr als seltsam vor, weil ich eigentlichn eine Planerin bin.

Wenn ich nichts mehr tippe: Guten Rutsch.

Dezembrige Drogenhühner, doo!

Seit langer Zeit mal wieder regelmäßig Zeichnen, da ich mich in einem Postkartenaustausch befinde, der mich dazu zwingt. Gar nicht schlecht vielleicht. Meinen Aufzeichnungen nach muss ich 2014/2015 das letzte Mal so eine Phase gewesen sein, in der ich regelmäßig gezeichnet habe. Von damals ausgebuddelt: Die Drogenhühner für Andreas. Er hat sie dann tatsächlich in seinem Hühnerstall aufgehängt und mir ein Foto von den Hühnern geschickt, die das Bild betrachten. Verzweifelt diese Fotografie gesucht und nicht wiedergefunden. Danach immer nur sporadisch mal was, wenn es einen Anlass gab: Ein Geburtstagsgeschenk für O., Neujahrgrüße, Postkarten dann und wann, die Tishreen-Revolution. Was auffällt: Es ist immer für jemand anderen und selten für mich.

Ich mag das Postkartenformat, es scheint mir begrenzt und händelbar.

In den Weihnachtsmodus tauchen: Kekse für O. backen, den Weihnachtsstern ans Fenser hängen, den Eisenbaum schmücken, online Geschenke bestellen und ein Päckchen Weihnachtskarten auch. Reibekuchen auf dem Weihnachtsmarkt essen, Weihnachtsmarktbesuche mit den unterschiedlichen Kreisen koordinieren. Ich spare nicht mit der Beleuchtung, wenn es draußen grau ist, muss es drinnen wärmen.

Rom vorbereiten, Tickets speichern, sich überlegen, was man sehen will. Die Reise ist seit 20 Jahren angedacht und stand auf den Dingen, die ich 2022 auf jeden Fall tun wollte. Seltsamerweise kaum Pläne für 2023, was ungewöhnlich ist (für mich). Lediglich ein Bildungsurlaub im August. Ich höre einen Podcast mit Sultan Sooud Al-Qassemi, der mich die Emirate vermissen lässt. Doch der letzte Sommer hinterließ keine Flugscham in dem Sinne, sehr wohl aber ein Bewusstsein dafür, unnötige Flugreisen vielleicht doch zu vermeiden? Aber es gibt Dinge, die die Seele überleben lassen und bei mir ist es eben das Unterwegssein. Ich pflanze zum Ausgleich ein paar Bäume, was mich daran erinnert, dass ich zu der Gesellschaftsschicht gehöre, die sich das finanziell leisten kann.

22.11.22

Frau Mama sagt, 22.11.22 wäre ein schönes Datum zum Bloggen. So sei es.

Die kleinen Datteln der Kanarischen Dattelpalme lassen sich einpflanzen und neue Palmen daraus ziehen, sagt der Wanderführer und ich stecke drei in die Hosentasche. Wenn man das Fruchtfleisch entfert, bleiben Samen übrig, die wie Kaffeebohnen aussehen. Man macht aus den Früchten einen Sirup der wunderbar zu Ziegenkäse schmecken soll. Früher nannten sie ihn Palmhonig, das hat die EU verboten, da keine Bienen im Spiel sind – dann eben Palmsirup. Zum Essen sind die Früchte zu klein und fleischlos, werden aber an Tiere verfüttert. Mir tun die Beine nach der Wanderung weh, ich bin nicht wirklich eingelaufen.

Die Stifte, die ich mitgenommen habe, gefallen mir nicht und so suche (und finde) ich eine Papeleria am Hafen. Der Besitzer erklärt mir in hektischem Englisch, dass er keine Kartenzahlung akzeptiere, für mich aber eine Ausnahme mache. Natürlich kaufe ich auch noch ein Notizbuch, das ich nicht brauche (Hallo Maarten). Ich mag den Typen und seinen Laden und bevor ich wieder abreise, kaufe ich sicher noch einmal etwas, das ich nicht brauche.

Die Insel ist voller ältlicher Hippies, die irgendwie in den 80ern hängen geblieben sein müssen. Ich lande auf dem Rückweg ernsthaft in einem Laden mit gebatikten Klamotten, der nach Patschuli riecht. Am Nachmittag sitze ich auf den Balkon und male arabische Wörter auf Karten, Kalligraphie mag ich das nicht nennen. Ein Arbeiter „schält“ die Palmen am Straßenrand mit einer Motorsäge. Das dient dem Insektenschutz. Die können sich in den „Schuppen“ einnisten und Schaden anrichten. Anderen wäre das zu wenig Urlaubsfeeling, aber ich mag die Arbeitsatmosphäre. Als er bei „meiner“ Palme landet verkrümele ich mich ins Wohnzimmer, der herüberwehende Palmenrindenstaub macht weiter zeichnen unmöglich. Später die Runden im Pool absolviert. ich schwimme die Normzeiten für den Rettungsschwimmer nach Corona immer noch nicht.

Randbemerkt: Ich könnte hier auch gut überwintern. Gibt wenig, was mich im Moment zu Hause hält.

Netzleben: Ich will den Twitter-Account eigentlich dicht machen, tue mich aber schwer, einige zu verlieren: Frau Mama, Harm, Fab, Opa Antifa, den alten Saed. Aber es nervt schon beim Lesen: Nicht ein Tag ohne leidige Aufregungsdiskussion (Fußball, Binden). Ich bin so alt, ich will da keine Lebenszeit mehr drauf verschwenden (und im Urlaub schon gar nicht). Ein wenig schwappt schon nach Mastodon rüber, schalte alles stumm, was mich damit vollmüllt. Schön: Poux und South, die sich vor einigen Jahren von Twitter verabschiedet haben, sind auf Mastodon wieder da.

Halber November, mäkelig

Hake die Tage bis zum Urlaub ab, alles fühlt sich borderlinig an. Die Gleichzeitigkeiten von Katzen und Katastrophen versuche ich durch Plattformen zu trennen. Katastrophen für Twitter, Katzen für Mastodon. Ich bekomme gezeichnete Postkarten, ich bin dankbar, aber Aufmerksamkeit nicht mehr gewöhnt. Und: Man führt wieder Gespräche auf Mastodon, fühlt sich wie Weblogs an: Über die Praxis des Tagebuchsschreibens, Kate Bush, die Herkunft des Wortes Qubbah.

Alaa Abd el-Fattah verschärft in Ägypten seinen Hungerstreik, die Familie wird über seine Situation im Unklaren gelassen, ob er tot ist, ob er zwangsernährt wird. Ständig sich widersprechende Informationen. Der Terror des Regimes. Hier nimmt kaum jemand Notiz davon, es fehlen die Kopftuchmädchen als Anschlussmöglichkeit für das deutsche Bürgertum.

Da ich selbst wieder Kritzel, die Frage ob Kunst erheben soll oder die Dinge dokumentieren? Die Borderline-ige kann nicht beides denken. Googel befragt zu Kunst und Klimawandel – wer soll das verstehen, bitte? Zu wem spricht das? M. glaubt mir nicht als ich ihr schreibe, dass ich von Hochkultur (Literatur, Theater, Musik, Kunst) keine Ahnung habe und die entsprechenden Diskussionen auch gar nicht verfolge. Nur ein wenig Geschichte und Sprachen, schreibe ich, ansonsten lese ich halt gern.

Schaue mir Fotos von Aktivisten der Letzen Generation an – was ist mit denen, dass die sich nicht schön machen mögen?

Morgens werden die Dinge geteilt: Zwei Erdnüsse für die Krähe, eine für mich. Im Busch vor dem Haus picken Amseln die letzten Beeren

Der Rest des Oktobers

Es ist der 29. Oktober abends, ich esse draußen auf dem Balkon und lasse es dunkel werden. Der Verkehr rauscht irgendwo dahinten, aus dem Stadion ab und an ein Schrei. Es ist immer noch warm. Frau Mama schrieb heute über diesen seltsam warmen Herbst in Berlin. Textsorten, die es die nächsten Jahren geben wird, von denen, die sich noch erinnern, was vorher war.

Ich habe das ganze Wochenede bis einschließlich Dienstag frei. Jetzt stellt sich auch die Ruhe ein. Was ich denn mit dem langen Wochenende machen würde, werde ich gefragt. Nüschts, sage ich und finde das größartig. Schreibe mit G. auf Threema, die ich sehr lange nicht gesprochen habe und bei der Zusammenfassung dessen, was alles passiert ist, merke ich, dass es mir gut geht. Jetzt. An diesem Punikt.

Elon Musk hat Twitter gekauft. Viele, denen es schon lange nicht mehr passte, nehmen das als Anlass nach Mastodon zu wechseln, ich auch. Ich werde weiterhin ab und an lesen, vor allem der internationalen Kontakte wegen. Aber vielleicht soll der Blick auf wieder mehr ins Regionale gehen, vielleicht ist jetzt die Zeit, who knows.

Wir können den Oktober jetzt zuklappen, der November wird eine Reise bringen, aber erst an seinem Ende. Bis dahin darf es gern etwas still bleiben.