Die Biographie von Angela Merkel ist genauso zäh wie ihre Regierungszeit
M. wurschtelt sich seit 27 Jahren durch. Reiseleiterin, Sprechstundenhilfe, Übersetzerin, Kosmetikverkäuferin. Während Corona hat sie sich ihre Rente auszahlen lassen und auf den Kopf gehauen. Diese Ruhe hätte ich nicht.
Ich kann nicht glauben, dass M2 geschieden ist. Hätte immer gedacht, er ist so ein Familienmensch. Und mit mir war ja nicht viel mit Familie.
Runterfahren: Schlaf stellt sich schnell ein, die Alpträume brauchen 2 Tage bis sie weg sind.
Diät kann man auch ablehnen. Seit einem bestimmten Alter (wann war das?) brauche ich immer eine Woche im Jahr einen Abhängurlaub mit Vollversorgung. Ist mir egal, ob das spießig ist.
Aloe Vera funktioniert wirklich bei Sonnenbrand
Mir fehlt der Wind so in Trier. Überhaupt: Jetzt fährt man im Sommer auf die Kanaren, weil es da so schön kühl ist. M. sagt, sie freut sich, wenn mal kein Wind da ist.
Es ist schwer hier soziale Netzwerke aufzubauen, sagt M. Die mesiten bleiben nicht auf Dauer.
Noch bevor es begomnen hat, schreibt die Presse das 9-Euro-Ticket kaputt: Wie schrechlich doch diese überfüllten Züge sein müssten, überhaupt, neue Zielgruppen würden nicht erschlossen, man müsse auch an die Menschen auf dem Land denken, denen bringe das Ticket ja überhaupt nichts. Und so weiter.
Das Pfingstwochenende startet mit einem persönlichen Tritt und einer langen Sitzung mit einem Infizierten, arbeitete sich dann aber mit einer netten Hospitation bei einem Erste-Hilfe-Kurs am Samstag langsam hoch. Wir hocken in einem Container des ASB in Ehrang, der im Rahmen der Flutkatastrophe dort auf dem Kirchvorplatz aufgebaut wurde und weiterhin als Begegnungsstätte genutzt wird. Ich merke, dass ich immer mehr Routine bekomme und das meiste schon selbstständig beantworten kann. Irgendwas ist letzt Woche mit meinem Rücken passiert und so rede ich meistens im Stehen und merke, dass es nicht so gut kommt, mich als Demonstrationsobjekt, das man durch die Gegend hebt und zieht, zur Verfügung zu stellen.
Pfingssonntag endlich der lang erhoffte Regen. Die Luft ist wunderbar, der Tag ansonsten ereignislos. Ein bisschen spazieren, ein wenig kochen, ein wenig Netflix.
Pfingstmontag teste ich dann endlich das 9-Euro-Ticket Ich warte die ganze Zeit darauf, dass jemand mein Ticket des Hamburger Verkehrsverbundes anschaut, aber in der RB71 nach Homburg kontrolloert natürlich niemand, wie hier in den Reginalbahnen eh niemals kontrolliert wurd, seltsamerweise aber in den Regionalexpressen. Der Zug um 9 Uhr ist fast komplett leer, auch auf der Rückfahrt gegen 12:30 Uhr ist der Zug belegt, aber weit entfernt von irgendeiner Überfüllung.
Ich laufe zum Schloss Saarfels hoch, das sich leider auf einem geschlossenen Privatgelände befindet. Das Internet benennt es wahlweise als Hotel, aber auch als Ferienwohnung. Immerhin finde ich eine Seite, die die alte Inneneinrichtung zeigt. Interessamterweise ist das Gebäude nur im Stil der Burgenromantik gebaut, aber mit einem Erbauungszeitraum von 1912-14 nicht wirklich alt. Ich kann nicht rausfinden, wem es gehört, aber offensichtlich stand es 2015 mal zum Verkauf und die Immobilienfirma beschenkt uns mit diesem tollen Werbevideo:
Weiter geht es zum Hofgut Serrig auf dem 160 Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen arbeiten. Auf dem Gelände befindet sich auch eine alte Feldbahn, die aber nur sonntags in Betrieb ist. Fazit: Für einen Halbtagesausflug gut geeignet. Der nächste 9-Euro-Tripp geht nach Frankfurt.
Eigentlich hätte das mein Geburtstagsgeschenk letztes Jahr an mich selbst sein sollen, wurde aber wegen Corona abgesagt, deshalb nun. Ich möchte natürlich an die Küste, Wangerooge. Das Antragsverfahren war problemlos, was nicht bei allen Arbeitgebern so zu sein scheint, wie ich von anderen Teilnehmenden erfahre. Hamburg war 1974 das erste Bundesland, dass Bildungsfreistellung eingeführt hat, lerne ich bei meinen Recherchen. Bayern und Sachsen haben es immer noch nicht.
Im Vorfeld der Reise sehr unsicher, ob ich als Einzelkämpferin so lange Zeit mit vielen Menschen verbringen kann. Aber die Gruppe ist sehr entspannt. Wer was machen will, der macht was, wer sich abseilen will, tut eben dies, ohne große Diskussionen. Trotzdem am Ende der Woche sehr platt von so viel Menschen und dem sehr strammen Programm. Ich lerne etwas über die Enstehung der Küste durch die Eiszeiten, die historische Entwicklung Wangerooges mit Verlagerung der Insel nach Osten, den Aufbau des Wattes, den Deichbau und die aktuellen Aufschüttungsmaßnahmen, über Flora und Fauna und wie Pflanzen mit dem Salz umgehen, über Vogelzug, gestrandete Pottwale, ich beobachte selbst Vögel, wandere durchs Watt und sammele Muscheln, bestauene den Wattwurn, beobachte Nachts die Lichter von Leuchttürmen und Bojen. Und diskutiere aktuelle politische Entwicklungen auf der Insel und perspektivische Entwicklung selbiger. Vieles muss ich abends noch einmal nachlesen, zum Beispiel das Schicksal des Knutts. Da ich nicht schon genug Interessen habe, gleich ein Fernglas bestellt, um vom Balkon aus noch besser Vögel stalken zu können. Ich erstehe auch ein Vogelbestimmungsbuch, die dazugehörige App versorgt mich mit Vogelstimmen. Fazit: Sehr anstrengend, aber auch sehr schön.
Und sehr großen Respekt vor S., (tolle Frau), die seit 20 jahren auf der Insel lebt und das Nationalparkhaus verwaltet in dem die Veranstaltung stattfand, mit all den Problemen, die damit verbunden sind. Für so einen Lebensweg muss man sich eben auch entscheiden. Und Respekt vor all dem Wissen, dass sich da angesammelt hat und auch wie gut didaktisch das alles aufbereitet ist. Überhaupt: eine Passion haben. Ich habe mich ja eher so durchgewurschelt und nach und nach herausgefunden, was ich will und kann. Auch wenn ich am Ende schon richtig gelandet bin.
Jetzt gruselt es mich ein wenig davor, wieder in das „normal“ zurück zu müssen. Viele Kampfbaustellen an dem anderen Ende der Republik gerade.
I was invited to break the fast with a Syrian friend. In Frankfurt I realize what radius is possible when you’re stuck here at the end of the world. Frankfurt and Cologne are easily doable for friendships, everything that is further away must be old friendships where the frequency no longer plays a role. We haven’t seen each other since the pandemic, but her life is going well, she now works in a big German bank now.
I used the morning to visit all the shops that aren’t in Trier. I bought a bag, t-shirts, swiss chocolate, massage oil and a jacket. A little off I bought my first garden gnome, now I’m really German.
Easter Sunday I walked a longer distance along the Main. In the city I got a city tour and learned about Maria Sibylla Merian who was a 17th century naturalist and scientific illustrator. Unusually for that time, she traveled to Suriname with her daughter to draw plants there.
We passed a place called Nice. The Nice owes its name to its mild microclimate, which is due to its southern exposure, sheltered from the wind, the favorable sunshine and the heat storage of the river. As a result, numerous plants of the Mediterranean flora thrive here, palms for example.
I also spent some time learning Italian and reading on the internet.. Catatonique shared a lovely text about getting older. It struck me when someone said he wouldn’t look for any platform other than Twitter anymore, that I’m less interested in beginnings, especially not all the time. It used to be different. I used to be basically made up of beginnings.
At home on the balcony there are now blackbirds and pigeons, recently also a crow, which still shyly turns away when I sit on it. I’m curious if it will get used to me. Avoiding eye contact seems important to me, for now. The birds usually come in the morning, just after sunrise. The wild bees have accepted the insect hotel well.
Warum denn in den 80ern alles leichter war, will ich wissen. Da war der Krieg nicht konkret da, sagt er. Sie will von mir etwas über Psychopharmaka wissen, ich sage ihr, dass man die nicht braucht, wenn man strukturell keine Probleme löst. Sie macht immer noch jeden Tag Überstunden. Ich suche Dinge für sie, die sie am Abend tun kann und die sie gedanklich ablenken.
Am anderen Tag M.’s Beteuerungen wie gut sie doch klar käme und die offensichtlichen Anzeichen, dass dem nicht so ist. Sag P. er soll den Kühlschrank auswischen, wenn er zum Putzen kommt, sage ich, während ich abgelaufene Lebensmittel wegschmeiße. Wir fahren gemeinsam in die Stadt, sie kann jeweils ein Stückchen gehen, muss sich aber viel setzen. Das Herz. Am Jungfernsteig finde ich den Fahrstuhl nicht und sie muss die Treppen steigen. Es gibt nur einen auf den U-Bahnsteigen merke ich später, nicht bei der S-Bahn. Sie freut sich über den Blick auf das Rathaus, den Blick auf die Alster und die Tasse Kaffee, die wir trinken. Das schlechte Gewissen, dass ich nicht öfter da bin. Als ich frage, ob ich Ostern wieder kommen soll, scheint sie das nich zu interessieren. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Verständnis von Zeit und Planungen gehen weiter verloren.
Am nächsten Tag im Zug mit mir selbst sprechen. Nur im Gedanken, ich bin nicht nicht alleine im Abteil: Ich muss gedanklich mit jemand anderem abschließen, aber es ist immer so ein Loch, wenn man mit etwas aufhört. Jedes Mal ein kleiner Tod. Lückenfüllpläne schmieden. Das ist einfach viel zu oft so. You deserve better, hatte O. mal gesagt. Manchmal denike ich das auch, nur denkt das Leben das meistens nicht.
Jedes Wochenende nehme ich mir vor, es ein ruhiges Wochenende sein zu lassen. Und jedes Wochenende ergibt sich etwas, dass das verhindert. Heute: Sonnenschein. Nach dem Frühstück und kurzem Herumgetrödel für Saarbrücken entschieden. Google verrät mir, dass es dort einen Deutsch-französischen Garten gibt, ca. 50ha groß, eine Art Stadtpark also. Während des Deutsch-Französischen Krieges war er ein Schlachtfeld, nun wächst hier Sommerheide. Am 23. April 1960 wurde dort die erste und einzige „Deutsch-Französische Gartenschau“ eröffnet.
Das Blumen-Tal ist noch ohne Blumen und leider ist auch der Bienenlehrpfad noch nicht mit Bienenstöcken bestückt. Ein Grund, vielleicht im Sommer noch einmal zu kommen. Ärgerlich, dass die „Gulliver-Welt“, die kleine Nachbauten berühmter Originale zeigte, seit 2012 nicht mehr da ist. Ich laufe so enthusiastisch einen Hang heruntern, dass ich auf dem nassen Rasen ausrutsche. Versuche die dreckigen Hände im Gras zu säubern, mit mäßigem Erfolg. Zum Glück gibt es am Nord-Ausgang ein WC mit Waschbecken.
Man merkt der Anlage die Bundesgartenschau noch an, mehr noch als den Wallanlagen in Hamburg. Die Seilbahn, die Wasserlichtorgel, die Park-Bahn. An einem Kiosk nehme ich das erste Eis des Jahres. Hinter dem Park, auf der anderen Straßenseite, ein Italiener mit Außenterasse. Pasta und gleich noch ein Tartofu hinterher. Sie haben uns mit Regen gedroht. Ich gehe zu Fuß zum Hauptbahnhof zurück, entdecke dabei das arabische Viertel. Vor dem Bahnhof werde ich Zeuge einer lautstarken Auseinandersetzung zweier deutscher Damen, die sich in der Fußgängerzone anschreien. Das Wochenendfeeling wird von einer eMail meiner Mutter unterbrochen. Irgendein Stress mit dem Pflegedienst, der sich aber nach telefonischer Nachfrage als weniger dramatisch herausstellt als die Mail vermuten ließ.
In den Zeitungen sprechen sie immer noch von einem Krieg.
Gebloggt: Es kommt mir seltsam vor, ausgerechnet jetzt zu reisen. Ich wähle ein Zimmer, kein Frühstück. Nichts, wo man die FFP2 absetzen muss. Es scheint mir gleich, ob ich bei mir im daheim in einem Zimmer hocke oder in einer anderen Stadt. Und dank A. besitze ich seit einiger Zeit einen Reisewasserkocher. Ich frage D., ob er mit mir in Museen möchte, aber er verkriecht sich vor Omikron und muss auch lernen. Mein Kopf versteht das, bin aber trotzdem betrübt. Stelle mir vor, wie wir Seilbahn fahren, so rauf und runter. Am Montag dann ein Treffen mit P.. Wir haben uns seit 2019 nicht mehr „in echt“ gesehen, nur Videokonferenzen.
Sobald ich unterwegs bin ist alles gut. Im Mittelrhein Museum sehe ich die Dauerausstellung mit Werken vom Mittelalter bis zu zeitgenössischer Kunst. Merke wieder, dass ich abstrakte Kunst nicht verstehe und etwas Gegenständliches brauche, um darüber nachzudenken.
Sind das die Leichenträger oder ist das Verwandtschaft? In was für einem Buch liest der Mann (nicht die Bibel) da? Trinken die Viez? Hängt da der Kaiser an der Wand? Wo sind die Frauen?
Schön finde ich, dass es in Kooperation mit der Stadtbibliothek eine Artothek gibt. Zeitgenössische Künstler bieten dort ihre Werke zum dreimonatigen Verleih an, gegen eine kleine Gebühr. Ich liebäugele mit einem Bibliotheksausweis, um daran teilnehmen zu können, bis mir die Vernunft Vorträge hält. Google verrät mir dann später, dass es sowas in Trier schon seit 1992 gibt. In Hamburg gibt es gar den Artothekenverband Deutschland. Die ersten Artotheken entstanden im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in den USA, lerne ich.
In der Stadt versammeln sich Polizei, Querdenker und Gegendemonstranten. Meine Stimmung trübt sich wieder und ich denke daran, dass diese Leute den Gedanken der Protestbewegungen auf lange Zeit ruinieren werden. Nehme noch Oliven, Salami und Wein aus dem Supermarkt mit. Ein kleines Abendessen.
Im Hotel: Die Chillis sind noch zu klein, um alleine zu Hause zu bleiben und die Samen der Orchideenbäume haben auch noch nicht gekeimt. So ist beides mitgekommen, samt der Pflanzenlampe. Frage mich, ob Hotelangestellte die Gäste eigentlich für bekloppt halten. D. wüsste es. Die Internetverbindung ist mäßig und ich mache mir Sorgen, dass mein Zoom-Essen mit K. morgen Abend nicht klappt.
Ferienwohnungen: Immer so wie aus einem IKEA-Katalog. Nicht wie meine Wohnung, mit Spuren davon, was darin passiert: Das Umtopfen der Pflanzen, das Kneten des Teigs, das Braten der Kartoffeln, das Wegwerfen von Zeitungen, das Bürsten der Haare, das Bemalen von Keramik, das Servieren für Gäste, das Anhängen von Bildern, das Schreiben von Briefen, das Backen von Brot, das Legen von Puzzel, das Schauen von Serien, das Sprühen von Parfum, das Ziehen von Kräutern, das Füllen von Gießkannen, das Saugen des Bodens, das Sortieren des Schmucks.
Man soll jetzt das Jahr zusammenfassen und Pläne für das neue machen. Ich bin nicht sicher ob ich gesund nach 2022 komme: Frankreich meldet 200.000 neue Corona-Fälle am 29. Dezember und ich muss noch einmal 11 Stunden reisen. Mein Booster-Termin ist am 6. Januar. Ich habe die Fotos für das Fotobuch 2o21 rausgesucht. 2021 habe ich zwei Tagebücher voll geschrieben anstatt einem. Ich habe 2021 mehrere Bäume gepflanzt. Ich habe eine Wahl organisiert und Personalvertretung gemacht. Ich war einmal unglücklich verliebt und das zweite Mal ist ungewiss. Ich frage lieber auch nicht mehr. Mein Beet ist gut gewachsen und meine Kochkünste sind es auch. Ich bin A. näher gekommen, das ist das Beste an der Pandemie. Ich möchte 2022 den Abschluss als Sanitäter und ich möchte nach Rom. Mehr plane ich nicht, das kommt mir schon viel vor. Das ist das Schlimmste an der Pandemie.
Mit dem Bus fahre ich nach Nebel. Auf den alten Seemannsgräbern erzählt jeder Stein die Geschichte seines Toten. Seine Heiraten, seine Kinder und welche Reisen auf welchem Schiff er machte. Über Oluf Jensen heißt es:
MEIN LESER HIER RUHET DER SEEL SCHIFFER OLUF JENSEN AUS SÜDDORF, WELCHER Ao. 1672 DEN 8. SEPT: GEBOHREN IST UND Ao. 1705 HAT ER SICH ZUM ERSTEN MAHL IN DEN EHE STAND BEGEBEN MIT MARRET HARCKEN UND DERSELBEN GEZEUGET 2 SÖHNE, DIE Ao. 1708 D: 6. AUG GESTROBEN IST. UND DARAUF Ao. 1713 HAT ER SICH ZUM ZWEITEN MAHL VEREHELICHET MIT DER DAMAHLIGEN MARRET JÜRGENS ANJETZO ABER NOCH LEBENDER SCHMERTZLICH BETRÜBTEN WITWE MARRET OLUFS UND MIT DERSELBEN GEZEUGET EINE TOCHTER DIE NOCH AM LEBEN IST. ANNO 1724 WARD SEIN SCHIFF DIE HOFFNUNG GENANT WORAUF LICKERT FLOR DAMAHLS VICE-SCHIFFER WAR NEBST SEINEM SOHN UND ZWEY SEINER BRÜDER SÖHNEN VON DEN TÜRCKEN GENOMMEN – UND ZU ALGIER AUFGEBRACHT WORDEN. SIE SAHEN ABER NACH EINER ZWÖLFJÄHRIGEN GEFANGENSCHAFT IHR VATER LAND WIEDER: ANNO 1750 DEN 19 MAY HAT ER NACH DEN WILLEN GOTTES DAS ZEITLICHE MIT DEM EWIGEN VERWECHSELT UND SEIN GANZES ALTER GEBRACHT AUF 77 JAHR UND 8 MONATE UND 11 TAGE.
Auf dem Rückweg mache ich Frieden mit dem Stress der letzten beiden Wochen. Ich finde mich mit diesem Winter ab, der eben wieder das beste aus dem machen wird, was eben möglich ist. Und ich beginne konkrete Pläne zu machen wie das aussehen soll. Ich verließ Trier am Freitag und wie immer tat mir ein Ortswechsel gut, um die Dinge auf Distanz zu bekommen. Der ganze Irrsinn der Planlosigkeit der Politik und die Gleichgültigkeit gegenüber den Toten. Ich schlief die erste Nacht 8 Stunden und am nächsten Nachmittag noch mal 3, so sehr hatte mich das alles aufgeregt
Mit E. und R. einen Weihnachtsmarkbesuch geplant, aber die Schlangen davor sind so lang, dass wir uns für ein Essen in einer Außengastronomie entscheiden. R. ist Wintermuffel und quengelt, dass ihm das zu kalt wäre, aber wir finden dann etwas mit Heizpilz. Die beiden haben im letzten Jahr genug Federn gelassen und versuchen, die ganze Situation nicht so an sich rankommen zu lassen. Selbstschutz hat Priorität, sagt E. Wir laufen nach dem Essen durch das Gereons-Viertel und sie zeigen mir das Gehrling-Quartier, auf dem die ehemaligen Versicherungsgebäude nun Wohungen sind. Sie scheinen mir als Wohnungen wenig schön, aber ich nehme mir vor, das ganze noch einmal bei Tageslicht zu beschauen, wenn es sich ergibt.
Am nächsten Tag werde ich gut von D. bekocht, wofür ich sehr dankbar bin: Spaghetti mit Meeresfrüchten. Während ich mit Rezepten zumindest immer eine grobe Richtschnur brauche, kocht D. nach Schnauze und das nicht einmal schlecht, weshalb ich heimlich neidisch bin. Ich merke den Wein sehr schnell, halte mich aber bei den Gesprächen tapfer. D. lebt ganz durch den Kopf, jedenfalls kommt es mir so vor. Das muss also so die Art sein, wie Intellektuelle Gespräche durch die Nacht führen, denke ich. Der Wein hilft jedenfalls dabei, mir um meine eigene Intellektualität nicht allzu viel Gedanken zu machen. Wir reden lange über das Schreiben, das Lesen und die unmittelbare Erfahrung. Beim Abschied sage ich, komme doch mal nach Trier, aber er wirkt nicht sehr enthusiastisch. Ob wegen mir oder Trier, kann ich nicht sagen. Mein Optimismus nimmt ihn aber in die Liste für Korrespondenzen auf.
Korrespondenzen dann auch Zug: Mit meiner Cousine, D. und dem Vermieter für den Silvester-Urlaub.
Unerledigtes schafft nur ein paar Stunden Schlaf und in dem Netzloch zwischen Koblenz und Frankfurt versuche ich noch einiges zu regeln. Letztlich löst sich alles in Wohlgefallen auf. Wir treffen uns neben dem Rathaus, bei Backfisch und Fassbrause. Richtige Fassbrause, nicht das Zeug, das heutzutage als solche verkauft wird. Wir streifen Jobs, Kollegen, die Reisen, die wir machten und wie es den Eltern geht. Wir schlendern wir am Wasser, auf der Alster rudern welche im Dunkeln an der beleuchteten Fontäne vorbei. Es ist warm und es gibt noch Eis. Neben uns ein paar Schwäne, über uns Kraniche, die nach Süden ziehen. Und immer ein bisschen Wind. Wir haben gar kein Foto von uns gemacht, schreibt J. hinterher. Lass uns das beim nächste Mal tun bevor wir dement werden.
Samstag treffen mit A. Sie wird ihr Krankenschwester-Dasein im März unterbrechen, um ein 4-wöchiges Praktikum in einer Schloss-Verwaltung zu machen. A. stalkt seit Jahren alle Burgen und Schlösser, die sich so finden lassen. Ihr Mann fragt, was sie machen würde, wenn sie sie behalten wollen. Na, da bleiben, sagt sie. Wir wandern an unserem alten Institut vorbei, wo wir uns vor 25 Jahren kennengelernt haben. In der Straße entdecken wir ein Haus, das irgendwie sehr Rudolf-Steiner-mäßig aussieht und uns nie aufgefallen ist. Es ist wohl auch eins, wie mir kundige Personen auf Twitter mitteilen. Wir kaufen am Bahnhof Butterkuchen, da ich den im Süden schlecht bekomme – ebenso wie Grünkohl – und essen auf der Treppe vor dem CCH. A. möchte gerne nach Köln, den Melaten-Friedhof sehen, wir verabreden lose etwas für Dezember. Sie ist eine der wenigen Personen, die stundenlang reden können ohne mit damit auf die Nerven zu gehen. Auch unser Reise-Faible ist derselbe. Sie muss zur Schicht, ich noch ein paar Dinge besorgen. Hier ist alles eine Erfrischung für die Seele. Jedes Mal. Wie ich das immer vergesse, wenn ich wieder im Süden bin.
Den Rest des Tages faul im Hotel verbringen, Haare machen, Nägel machen, Tagebuch schreiben, Kekse essen, lesen. Eine wichtige Mail: Die Weiterbildung zur Erste-Hilfe-Ausbilderin startet im Januar. Eine shock(!)ierende Nachricht auf Facebook: Der Schockwellenreiter ist mit Schlaganfall im Krankenhaus. Ich mag gar nix bloggen.