Unaufgeregt an der See

J. plant aus dem Vogtland anzureisen und noch eine Nacht daheim in Hamburg zu verbringen. Zu ambitioniert der Plan, sie strandet in Berlin und übernachtet bei Freunden. Vor fast genau 20 Jahren waren wir auf Ameland, zwischendurch irgendwann zusammen auf Amrum, ich weiß aber spontan nicht, wann das war. Wir brauchen einen Tag, um uns aufeinander einzustellen, dann ist geregelt, wer, was macht und wer, was nicht leiden kann. Ich koche gern, sie wäscht gern ab.

Beide Kirchen im Ort sind schön, wenngleich die katholische aus den 60ern stammt, aber dafür wunderbare Glasfenster hat. Sie ist 24 Stunden geöffnet, außer am Montag. Nebenan befindet sich ein Friedhof auf dem wir Brombeeren sammeln. J. mietet sich für die Woche ein Rad, ich bin eher der Strandtyp. Am ersten Tag umwandern wir den Binnensee und kommen an dieser grausigen 70er-Jahre-Sünde vorbei, die sich Ferienpark nennt. Ich fahre einen Tag nach Fehmarn rüber, und finde nach 8 Monaten die erste katholische Kirche, die mir nicht gefällt. Ebenfalls ein 60ger-Jahre-Bau, aber sehr dunkel und irgendwer kam auf die glohrreiche Idee in Dauerschleife Orgelmusik von Band (!) laufen zu lassen. Ich gehe eigentlich in Kirchen, weil es da still ist. Flüchte zu den Protestanten und ja auch da gibt es Orgelmusik, allerdings spielt dort tatsächlich jemand live. Ansonsten sind die Tage angenehm ereignislos, mit lesen und zeichnen, wir lassen uns abends lange Zeit für das Essen. Ansonsten kann ich eigentlich immer am Meer sein. Wenn ich Glück habe kann ich nächsten Sommer Gastküsterin auf den ostfriesischen Inseln werden, aber das ok der Personalabteilung für 3 Monate Sabbatical steht immer noch aus. Wish me luck.

Ein Wochenende im Mai

Seit einer halben Ewigkeit mal wieder in der Tufa. Saif-al-Khayyat-Trio. Das Trio, das eigentlich aus vier Leuten besteht, spielt eine Mischung aus arabischer Musik und Bach, was ganz bezaubernd ist. Die Deutschen (Akkordeon und Cello) sind so deutsch, wie man nur deutsch sein kann. Der Akkordeonspieler ein blonder Hühne, sie alternativ und schlecht angezogen. Mich wieder gefragt, woher die deutsche Alternativszene diese Idee des Schlecht-Angezogen-Seins eigentlich her hat. Eine Eigenschaft, die in südlichen politischen Kontexten oder Künstlermilieus komplett unbekannt ist. Mich kickt die Kombination Oud und Daf sehr, und ich erwerbe im Nachgang gleich eine CD per IMusic. Lerne dabei Nora Thiele kennen, ganz wunderbar. Immer noch ziemlich kaputt vom Tod meiner Mutter und dem Drumherum, bei der zweiten Zugabe will ich einfach nur nach Hause, obwohl es sehr gefällt.

Am nächsten Morgen klingelt um halb sechs der Wecker, ich fahre nach München, dem Künstler bei seiner Ausstellung die Ehre erweisen. Denke schnell: Du bist doch bekloppt! Und: Aus dem Alter Ich-fahre-mal-eben-für-ne-Party-nach-Berlin solltest Du eigentlich raus sein. In Mannheim frühstücke ich und erwerbe einen Bogenhanf als Geschenk, eine deppensichere Pflanze, die im Grunde nicht umzubringen ist. Die Ateliergemeinschaft liegt ein wenig außerhalb, auf einem ehemaligen Krankenhausgelände, wunderschön im Grünen, das in den 80ern besetzt wurde. Allerlei Vereine und Initiativen finden sich hier, bedroht 2025 da rauszufliegen, man kann da sicher schöne Eigentumswohnungen bauen. Der Vorteil, wenn man sehr müde ist, ist, dass man nicht nervös und im Halbschlaf alles ok ist. Der Künstler hat 2 Bilder verkauft und scheint glücklich zu sein. Er kippt Kaffee in mich hinein, damit ich so zappelig wie er werde. Wir diskutieren über „das Sehen“, das macht mich schlau und ihn ruhig. Frage mich hinterher, ob ich mich mehr mit den Bildern hätte beschäftigen müssen, andererseits will man ja mit dem Menschen reden und nicht mit den Bildern, wenn man schon mal da ist. Der Künstler sagt, man sieht sofort, ob jemand wirklich interessiert ist oder nicht. Ich lerne: Auf einer Vernissage sagt man nicht „Ich male auch“. Nebenan ist der Proberaum des Künstlers, weil er auch Musik macht. Menschen kommen mit Instrumenten und sie spielen was. Der Künstler hat eine schöne Stimme und singt wunderbar. Aber ich ermüde schon wieder sehr schnell und seile mich bald ab. Am nächsten Tag Schokolade bei Läderach bevor ich nach Hause fahre. Könnte ein München-Ritual werden.