Erste Juniwoche 2023

Frau Mama schläft schlecht und ich auch und dann kann ich ja gleich mitbloggen. Muss langsam zurück ins Leben, merke ich. Montag das erste Mal seit einer halben Ewigkeit beim Training, C. quatscht mich an, ob ich nächste Woche mit einer behinderten Olympiamannschaft zusammen trainieren möchte. Ich habe keine Ahnung, was man da machen muss, sage aber erst einmal ja. Fühle mich immer noch nicht „lustig“ genug für Menschen, aber muss ja. Auch das erste mal seit Wochen Teamsitzung. „Wie geht es dem Hund?“, frage ich S. „Ja, der ist tot“, sagt sie. Bisschen geschockt, mein letzter Stand war Antibiotika. Organisiere für sie ein After-Work-Grillen nächste Woche, damit sie nicht traurig zu Hause rumhängt. Lela liegt im Garten der Eltern, werde ihr einen kleinen Grabstein/eine kleine Grabplatte malen. Für einen Schwan habe ich das ja gerade hinter mir. Es ist in Trier nicht möglich große Kiesel zu organiserien, nur im Baumarkt als 25-Kilo-Pack, na danke. Also Schieferplatte, für Amazon habe ich keine Zeit. Noch ein gemachtes Fotobuch von der Beerdigung abholen und an alle versenden.

Nach zu kurzer Nacht Donnerstag um 4:45 Uhr aufstehen, die Strecke ist mit einem Busersatzverkehr beglückt worden. Am Bahnhof frage ich den dort stehenden Busfahrer, ob dies der Ersatzverkehr nach Mettlach sei. Er sagt: Nein. Später kommt ein zweiter Mann hinzu und es stellt sich raus, dass er das sehr wohl ist. Wir fahren nicht, wie anzunehmen ist, die B51, sondern verfahren uns in der Hügellandschaft um die Mosel. Einmal muss er wenden. Ich hatte ja schon vieles, einen sich verfahrender Schienenersatzverkehr, nicht. Brauche insgesamt 10 Stunden bis ich im Hotel bin. Mit mir: Horden von Rammstein-Fans, die schlussendlich nachts doch ruhiger sind als angenommen. Treffen mit dem Künstler, das Beet von Edelgut (Schwan) pflanzen. Kaffee, Spazierengehen, Quatschen, sehr schön, sehr angenehm. Zurück im Hotel kommen die Gewitter wieder, wunderschöner Regen. Schlafe aber wieder nur 5 Stunden und bin jede Stunde wach, zu viel, was noch in mir brodelt und sich nicht richtig setzt. Heute oder morgen nach Dachau, das war der eigentlich Plan.

BQ59-566

Nach einer Woche bleibt vor allem eine große Müdigkeit zurück. Am Tag ihrer Beerdigung hängt das Schild morgens nicht, als wir aus der Kapelle kommen schon. Ich bin die die ganze Zeit beschäftigt: Famile begrüßen, Freunde begrüßen, Nachbarn begrüßen. Hinterher sehen, dass im Cafe alles klappt. Rede und Musik selbst zu gestalten war die richtige Entscheidung. Alle finden es gut und wir fühlen uns damit wohl. Das Wetter ist wunderbar und der Rhododendron blüht. Ich finde eigentlich alles ganz schön und komme mir seltsam deshalb vor.

Am Samstag Dinge in der Wohnung regeln, Pfingstsonntag Sauna, Pfingstmontag erst ein Brunch mit einer Freundin, dann nach Soltau ins Krankenhaus, wo ihr Lebensgefährt liegt. Sehr schwach und klein und eingefallen. Im Laufe der Woche von seiner Tochter erfahren, dass sie nach dem _dritten_ Mal röntgen endlich festgestellt haben, dass sehr wohl ein Rückenwirbel nach einem Sturz gebrochen ist. Nix simulierender Alter.

Im Laufe der Woche entschließe ich mich selbst ein Grab zu kaufen, weil ich den Ohldorfer Friedhof liebe und weil mit der Gedanke, dass das Ordnungsamt mich irgendwo verscharrt nicht sympathisch ist. Der größte Parkfriedhof der Welt. Ich habe ein paar Jahre in der Gegend gewohnt und fuhr morgens mit dem Fahrrad durch ihn durch zur Schule. Später, während des Studiums, saß ich dort oft und lernte. Es wird die Grabnummer BQ59-566. Bei den Terrassen am Pröklemoor. Habe viele Ideen für die Gestaltung. Für mich eigentlich nur ein weiterer Ort, an dem man was pflanzen kann. Es gibt natürlich Richtlinien, der Stein muss liegen und mindestens 10 cm dick sein. Ich hätte lieber was „leichteres“ gehabt.

Dienstag wieder Arbeit, am Freitag dann plötzlich so erschöpft, dass ich bei der Personalratssitzung fast einpenne.

Wuppertal

A. empfahl den Botanischen Garten als Reiseziel und mein Hotel liegt glücklicherweise direkt unterhalb. Über Treppen hinauf liegen oben die Hardt-Anlagen und darinnen der Botanische Garten. Ich fotografieren in erster Linie Blätter, die mir an dem Tag besonders auffallen. Im Hardt-Stübchen gibt es alle Variationen von Pfannkuchen und einen sehr urigen Gastwirt. Für mich welche mit Champignons und Schinken und ein Radler.

Am nächsten Tag nach Kempen, „the Boy“ treffen. Er hatte Trier sehr spontan verlassen, nachdem A. sich von ihm getrennt hat. Irgendwas mit einem anderen, der aber wohl doch nix festes von ihr will. Auf der Arbeit fragen alle: Wer hat die Vögel bekommen? Sie wie es scheint. Man merkt, dass Frust an ihm klebt, aber ich bohre auch nicht weiter nach. Außerdem ist da jetzt eine Sabine, die kann das vielleicht richten. Auf dem Grundstück seiner Großeltern wird gerade ein Mehrfamilienhaus gebaut, er bekommt eine Wohnung, sobald das fertig ist. Bis dahin wohnt er wieder bei seinen Eltern.

Obwohl es ein schönes Wochenende war, ist relativ wenig hängen geblieben. Ich strebe mental so dem Freitag entgegen. Dann ist sie endlich beerdigt. Und ich habe das Gefühl, dass ab dann mein Leben auch weiter geht.

Ein Wochenende im Mai

Seit einer halben Ewigkeit mal wieder in der Tufa. Saif-al-Khayyat-Trio. Das Trio, das eigentlich aus vier Leuten besteht, spielt eine Mischung aus arabischer Musik und Bach, was ganz bezaubernd ist. Die Deutschen (Akkordeon und Cello) sind so deutsch, wie man nur deutsch sein kann. Der Akkordeonspieler ein blonder Hühne, sie alternativ und schlecht angezogen. Mich wieder gefragt, woher die deutsche Alternativszene diese Idee des Schlecht-Angezogen-Seins eigentlich her hat. Eine Eigenschaft, die in südlichen politischen Kontexten oder Künstlermilieus komplett unbekannt ist. Mich kickt die Kombination Oud und Daf sehr, und ich erwerbe im Nachgang gleich eine CD per IMusic. Lerne dabei Nora Thiele kennen, ganz wunderbar. Immer noch ziemlich kaputt vom Tod meiner Mutter und dem Drumherum, bei der zweiten Zugabe will ich einfach nur nach Hause, obwohl es sehr gefällt.

Am nächsten Morgen klingelt um halb sechs der Wecker, ich fahre nach München, dem Künstler bei seiner Ausstellung die Ehre erweisen. Denke schnell: Du bist doch bekloppt! Und: Aus dem Alter Ich-fahre-mal-eben-für-ne-Party-nach-Berlin solltest Du eigentlich raus sein. In Mannheim frühstücke ich und erwerbe einen Bogenhanf als Geschenk, eine deppensichere Pflanze, die im Grunde nicht umzubringen ist. Die Ateliergemeinschaft liegt ein wenig außerhalb, auf einem ehemaligen Krankenhausgelände, wunderschön im Grünen, das in den 80ern besetzt wurde. Allerlei Vereine und Initiativen finden sich hier, bedroht 2025 da rauszufliegen, man kann da sicher schöne Eigentumswohnungen bauen. Der Vorteil, wenn man sehr müde ist, ist, dass man nicht nervös und im Halbschlaf alles ok ist. Der Künstler hat 2 Bilder verkauft und scheint glücklich zu sein. Er kippt Kaffee in mich hinein, damit ich so zappelig wie er werde. Wir diskutieren über „das Sehen“, das macht mich schlau und ihn ruhig. Frage mich hinterher, ob ich mich mehr mit den Bildern hätte beschäftigen müssen, andererseits will man ja mit dem Menschen reden und nicht mit den Bildern, wenn man schon mal da ist. Der Künstler sagt, man sieht sofort, ob jemand wirklich interessiert ist oder nicht. Ich lerne: Auf einer Vernissage sagt man nicht „Ich male auch“. Nebenan ist der Proberaum des Künstlers, weil er auch Musik macht. Menschen kommen mit Instrumenten und sie spielen was. Der Künstler hat eine schöne Stimme und singt wunderbar. Aber ich ermüde schon wieder sehr schnell und seile mich bald ab. Am nächsten Tag Schokolade bei Läderach bevor ich nach Hause fahre. Könnte ein München-Ritual werden.

Der Tod meiner Mutter

Mein Bruder schreibt eine WhatsApp ich möge dringend anrufen. Meine Mutter wäre im Krankenhaus. Die Nachbarin von gegenüber hätte sie nachts um halb 3 auf dem Sofa liegen sehen und den Rettungswagen gerufen. Morgens um 6 meldet sich dann die Polizei bei meinem Bruder. Das Krankenhaus sagt, es wäre eine massive Hirnblutung, es wäre nur eine Frage der Zeit. Sie war die Woche vorher noch im Urlaub, mein Bruder und meine Schwägerin am selben Tag noch zum Kaffee da, abends um 10 telefoniert sie noch mit der Schwester ihres Lebensgefährten. Ich sage alle Termine ab und versuche am anderen Morgen eine Krankschreibung zu bekommen. Ich lerne: Mein Hausarzt ist seit 1.1. in Rente. Ich habe keinen Nerv mir jetzt einen neuen zu suchen und nehme Urlaub. Auf der Höhe Wittlich, gegen 11:30 Uhr, ruft mein Bruder an: Das Krankenhaus hätte angerufen, es ginge zu Ende, er solle kommen. Ich weine zwischen Wittlich und Koblenz. Gegen 17 Uhr meldet er sich wieder, sie sei seit Stunden auf einem extrem niedrigen Level stabil, der Puls läge bei 25-40. Ob ich ins Krankenhaus (St, Georg) kommen solle? Nein, sagt er, das mache keinen Sinn. Wir treffen uns am Hauptbahnhof und gehen essen. Sollte ich nicht hingehen, frage ich. Nein, sagt er, mache das nicht. Das sei kein schöner Anblick. Wenn sie morgen noch lebt gehe ich, sage ich. Mach das nicht, sagt er wieder. Er hat 6 Stunden mit ihr gesprochen, ihr vorgesungen. Wir sind ratlos, was wir machen sollen, sollte sie einfach weiter so auf diesem Niveau dämmern. Abends um 9 kommt dann der Anruf, sie wäre jetzt tot. Wir lernen schnell, dass Sterben komplizierter ist als angenommen. Da sie verwitwet war brauchen wir für die Sterbeurkunde die Sterbeurkunde meines Vaters sowie ihre Heiratsurkunde. Während Finanzen und Versicherungen gut in Ordnern sortiert sind fehlen sämtliche Familienunterlagen. Mein Bruder schwört, dass es eine braune Ledermappe mit den Unterlagen gibt, aber wir finden sie nicht (Wir finden die ominöse Mappe eine Woche später hinter einer Picknicktasche unter dem Bügeleisen.). irgendwo zwischen Bergen von Kontoauszügen aus den 90er-Jahren finden wir die Sterbeurkunde unseres Vaters und später auch einen Auszug aus dem Familienbuch. Das Ausstellen der Sterbeurkunde dauert in Hamburg zurzeit 6 Wochen, vorher kann sie nicht bestatet werden. Wir bereiten alles vor, was vorzubereiten ist, aber eigentlich ist dieser Zustand unhaltbar. Nicht nur, dass man im Endeffekt ohne Sterbeurkunde nichts kündigen kann, man kann auch innerlich nicht abschließen, wenn man seine Toten nicht bestatten kann. Die Tage sind voll: Freunde und Verwandte informieren, Listen der zukünftigen Kündigungen zusammenstellen und rausfinden wer, was braucht, mit der Bank reden, mit dem Bestattungsinstitut sprechen, Grabstätte auswählen, Beileidswünsche entgegen nehmen, alte Briefe und Bilder durchsehen, zum Steinmetz gehen, mit den Nachbarn sprechen, Stichpunkte für die Trauerrede machen (wir reden selbst), ihren Lebensgefährten seelisch betreuen, der Frau, die den Rettungswagen rief Blumen bringen, den Keller leer räumen, die Schränke leer räumen, Pakete mit ihren Dingen an mich selbst senden, Teile per Auto zu meinen Bruder schaffen. Nach 1 1/2 Wochen fahre ich einen Tag an die See. Ich laufe bis zum Strand und schlafe sofort ein. Labskaus zum Mittagessen, dann zurück an den Strand, ich schlafe wieder sofort ein. Mein Bruder berichtet, es sei ihm auch so gegangen. Die Trauer läuft in erster Linie als Müdigkeit mit. Nur als ich Lindenbergs „Komet“ im Radio höre, fange ich plötzlich an zu heulen. Keine Ahnung, warum gerade da. Ich übernachte die ganze Zeit in ihrer Wohnung, was mir am Anfang angenehm ist, da ich ihre Dinge weiter um mich habe und nicht alles so abrupt ist. Aber je leerer die Wohnung wird, desto belastender wird es. Ich bin am Ende froh wieder nach Trier zu fahren. Was geholfen hat: Der Spaziergang mit A. im Stadtpark, das Abendessen beim Griechen mit J., mein Geburtstagsbrunch mit J., S. und J.2.

Blut und Tränen

Am Sonntag Erste-Hilfe-Kurs. Ich mache Rettungskette und Herz-Lungen-Wiederbelebung. Es tut gut, unter bodenständigen Leute zu sein. Die Eindeutigkeit der Dinge, alles hat seinen festen Ablauf. G. ist das erste Mal dabei und er macht das super. Er ist Jugendwart, überhaupt ein toller Mensch. Wir reden über seine Zukunftspläne. Er will zur Polizeit, weil „damit da nicht nur Nazis sind“. Seit ein paar Monaten hat er einen weiteren Gedanken: Notarzt. Versuche ihn ein wenig in die Richtung zu stupsen, aber das Nazi-Argument ist auch nicht von der Hand zu weisen.

Am Abend gedacht: Heul bloß nicht auf die Aquarell-Karten. Daraus dann der Gedanke, dass man doch eigentlich mit Tränen malen könnte. Und für das Drama dann noch Blut dazu. Am nächsten Morgen umgesetzt. Just als ich mir mit der Rasierklinge in die Fingerkuppe schneide meldet sich S. über WhattsApp. Ob ich Anfang Juli nochmal einen Erste-Hilfe-Kurs geben möchte? Ich denke: Ich sage Dir jetzt nicht, dass ich eine selbstverletzende Psychopatin bin, die sich gleich ne Sepsis holt, weil sie mit nem dreckigen Pinsel in der Wunde rumwühlt.

Die ganze Dünnhäutigkeit dieser Tage. Per Mail jemanden mit „das habe ich Ihnen doch letztes Semester alles schon mal erzählt“ anpampen. Es ist ja nicht das singuläre Ereignis, es ist die Serie. Hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen… So eine Müdigkeit. Denken: Nee. Nee, ich mache das nicht mehr. Ich laufe nicht weiter. Ich bleibe einfach sitzen. Nicht aufstehen. Nicht gehen. Nichts versuchen. Aber mir wird schnell langweilig, das ist sicher. Man darf nur nicht zu schnell wieder losrennen. Sehr erschöpft.