Blut und Tränen

Am Sonntag Erste-Hilfe-Kurs. Ich mache Rettungskette und Herz-Lungen-Wiederbelebung. Es tut gut, unter bodenständigen Leute zu sein. Die Eindeutigkeit der Dinge, alles hat seinen festen Ablauf. G. ist das erste Mal dabei und er macht das super. Er ist Jugendwart, überhaupt ein toller Mensch. Wir reden über seine Zukunftspläne. Er will zur Polizeit, weil „damit da nicht nur Nazis sind“. Seit ein paar Monaten hat er einen weiteren Gedanken: Notarzt. Versuche ihn ein wenig in die Richtung zu stupsen, aber das Nazi-Argument ist auch nicht von der Hand zu weisen.

Am Abend gedacht: Heul bloß nicht auf die Aquarell-Karten. Daraus dann der Gedanke, dass man doch eigentlich mit Tränen malen könnte. Und für das Drama dann noch Blut dazu. Am nächsten Morgen umgesetzt. Just als ich mir mit der Rasierklinge in die Fingerkuppe schneide meldet sich S. über WhattsApp. Ob ich Anfang Juli nochmal einen Erste-Hilfe-Kurs geben möchte? Ich denke: Ich sage Dir jetzt nicht, dass ich eine selbstverletzende Psychopatin bin, die sich gleich ne Sepsis holt, weil sie mit nem dreckigen Pinsel in der Wunde rumwühlt.

Die ganze Dünnhäutigkeit dieser Tage. Per Mail jemanden mit „das habe ich Ihnen doch letztes Semester alles schon mal erzählt“ anpampen. Es ist ja nicht das singuläre Ereignis, es ist die Serie. Hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen… So eine Müdigkeit. Denken: Nee. Nee, ich mache das nicht mehr. Ich laufe nicht weiter. Ich bleibe einfach sitzen. Nicht aufstehen. Nicht gehen. Nichts versuchen. Aber mir wird schnell langweilig, das ist sicher. Man darf nur nicht zu schnell wieder losrennen. Sehr erschöpft.

Hamburg

Auf der Hinfahrt sehr ruhig. Konzentriertes Arbeiten macht die Fahrt kurzweilig. Am Nachmittag auf der Fuhslbütteler Straße dann plötzlich schwere Durchfälle, die mich direkt auf der Straße überkommen. Eine Situation, die ich in diesem Leben bitte nicht noch einmal erleben möchte. Ich habe die Zuckerersatzstoffe in Verdacht, von denen ich weiß, dass ich sie nicht essen darf. Zum Glück habe ich Waschmittel eingepackt, allerdings nur eine Hose, die der Hotel-Fön trocknen muss. Ich plane für den Rest des Abends „irgendwas mit Ruhe“, aber CG1 meldet sich spontan und wir videokonferieren fast 2 Stunden. Ich darf ihn nicht Komplett-Freak nennen, weil er für 10.000 Euro Fahrräder gekauft hat, weil „Du bindest Leuten Gliedmaße ab, so kann man keine Männer kennenlernen“.

Samstag Vormittag in die Stadt. Obwohl der Magen immer noch flau ist, esse ich Grünkohl, man weiß ja nicht, wann und ob man im Süden wieder was bekommt. Im Hotel dann aber doch 2 Stunden Mittagsschlaf, der Körper ist irgendwie kaputt. Zu A1 zur Geburtstagsfeier. Ihr Mann schnallt nicht, dass das ihre Gäste sind und dirigiert stundenlang die Unterhaltung. Keine der Anwesenden weiß, warum die beiden immer noch verheiratet sind, aber Ehen sind komische Gebilde, deren Funktionsweisen sich Dritten nicht immer erschließen. Nach dem Essen verpieseln wir uns als Damen-Clique auf den Dachboden, wo A. ein ausgebautes Arbeitszimmer hat und lassen den Ehemann vor dem Fernseher. Dann beginnt die eigentliche Party. Wie zu Jugendzeiten, irgendwie.

Am Sonntag bei der Mutter zum Frühstück. Wir schauen alte Fotos, aber vieles erkennt sie nicht mehr. Nachmittags mit dem Bus an einen See, ein bisschen laufen, soweit sie kann und Kaffee trinken. Es ist immer noch eisig kalt.

Am Montag der Versuch, die Al-Nouri Moschee zu zeichnen. Die Rückfahr-Route wird von der Deutschen Bahn umgelegt, aber wie ein Wunder komme ich doch pünktlich an.

Zu Hause den Herzschmerz nicht mehr aufschieben können. Ich war ja froh ein paar Tage fliehen und aufschieben zu können und mich den Dingen nicht stellen zu müssen. Das geht jetzt nicht mehr. Mensch, Du siehst so traurig aus, sagt A2. heute in der Mittagspause. Manchmal ist das eben so, sage ich. A. auch: Ich finde das ganz schön mutig! Und: Ist doch gut, dass das jetzt geregelt ist, dann kannst Du das wegstellen. Ich verspreche ihr besser drauf zu sein, wenn wir morgen ausgehen. Frage mich später, was einen eigentlich traurig macht. Die nicht stattgefundene Zukunft, denke ich. Frau W., Sammlerin nicht stattgefundener Zukünfte (Plural?).

München, Reste

Auf dem Rückweg die Pflanzen fallen lassen, die Zinnien überleben es nicht bis auf 3. Ich setze sie schnell um. Bei den anderen wird man sehen.

Reste: Der jüdische Friedhof ist an Shabbat geschlossen und so besuche ich Gustav Landauer an einer Graffiti-Wand in Giesing. Das nächste Mal also. Und Dachau auch. Im MUCA fühle ich mich unwohl und bedrängt. Ich haue schnell wieder ab.

Der Künstler malt mit seinem Kaffee & ist offensichtlich nicht ganz dicht. Ich habe ihn also gern. Auch: Sehr deutsch, sehr verkopfert, fürsorglich. Die Zeichnerei ist ihm festes Terrrain und so werde ich durch eine Postkarte geschupst, zwecks gemeinsamer Zeichnerei. Das nächste Mal überrumpele ich dich, denke ich. Dann legst Du mir einen Druckverband. Die Karte (schön geworden) geht an U., wo ja sonst nicht mehr viel geht. Der andere CG ist seit einer Woche verschwunden, was mich langsam beunruhigt. Er wollte mit dem Rad 43km nach Oldenburg fahren, das Telefon ist seit Tagen nicht connected. Anderseits hatte er schon immer ein Talent für’s dramatische Verschwinden. Von M. daheim im Kasten eine Urlaubspostkarte. Er schreibt von einem Ferienpark „der sieht aus wie Steilshoop im Urlaub“. Hole alte Fotos aus dem Regal und ich bilde mir das tatsächlich nicht ein: CG1 und CG2 sehen sich relativ ähnlich.

Was mir nachhängt: Beckmanns Fenster-Aussichten, dass seine gemalten Gesichter oft halb verdeckt sind oder wegschauen, dass man roten Felsen mit Sonnenblumenöl mischen könnte, die Amazon-Halle, D. in der Maschinenhalle malen (?- will er nicht, will er nicht!), der U-Bahn-Mann, Tropenhölzer. Was ansteht: Alltagsgedöns, Wäsche, Einkaufen, Rechnungen bezahlen.

P.S. Achja, ich kaufte einen roten Mantel.

München, I

Die Planung: Ein Ethnologe, den ich 2005 in einer Fabriketage im Berliner Osthafen getroffen habe, ein von Tieren beseelter Künstler und O. kann ich leider nicht treffen, weil „ I am with security details and won’t be able to move freely“.

Komme am Mittwochabend an und schaffe noch ein Sonnenuntergangsfoto an der Frauenkirche, die mir weniger gefällt als die Liebfrauenkirche in Trier. Ich kaufe am Karlsplatz heiße Maronen, was mich an Heidelberg erinert und frage mich, warum es die in Trier und weiter nördlich eigentlich nicht gibt. Überraschenderweise geht mein Italienischkurs doch weiter und ich schaffe es rechtzeitig ins Hotel, um mich zum Kurs einzuloggen. Sie haben mir ein Zimmer mit Balkon gegeben, mit einem schönen Blick auf die Paulskirche.

Am Donnerstagmorgen in den Botanischen Garten. Was für ein dämlicher Monat für Botanische Gärten der Februar ist, aber immerhin haben die Gewächshäuser auf. München ist voll von Kunstmuseen (was mir in meiner Ignoranz nicht aufgefallen ist), aber es scheint wenig zu geben, was man hier sonst machen kann. Ich war zuletzt 2016 hier, damals im Deutschen Museum und im Müllerschen Volksbad (was ich sehr geliebt habe). Ich hatte ein Zimmer im 10 Stock einem Motel-One-Hotel und konnte damals auf die Alpen blicken. Dieser Blick ist mir im Wesentlichen erinnerlich. Im Botanischen Garten lerne ich, dass man aus Brechnüssen vorzüglich Strychnin gewinnen kann und das Zimt eine Baumrinde ist, was vermutlich banal ist, mir aber nicht bekannt war. Hinterher brav Schloss Nymphenburg besichtigt und ein wenig in der Sonne im Schlosspark geschlafen. Ich kaufe eine Postkarte für A., die Schlösser so liebt. Etwas in der Stadt essen, zu teure Schokolade bei Läderach kaufen und dann zum Englischen Garten weiter gefahren. Hier bekomme ich den Rest der Sonne und noch etwas Straßenmusik mit.

Freitagmorgen in die Stadt, einen roten Mantel gekauft. Ich kann das grau nicht mehr ertragen. N. schreibt mir auf WhattsApp, dass sie genau den gleichen kürzlich erworben hat, nun laufen wir im Partnerlook.

Mittags eine riesige Pizza mit Kerleone. Wir sprechen über das Freiberuflertum, WG-Leben, Partnerschaftengestaltung und über „das Alter“. „Wie nimmt deine Umgebung dich wahr?“, fragt er & will darauf hinaus, dass ich wohl der Exot sein könnte (so wie er), aber ich sage bloß: Autonom. Ich hatte immer geglaubt, dass „Exot“ läge an Trier, aber vielleicht liegt es doch daran, dass alle um einen herum auf eine spezielle Art alt werden und man selbst nicht, jedenfalls nicht so. Auf jeden Fall sind wir uns einig, dass die Verbürgerlichung den Tod der geistigen Beweglichkeit darstellt. K. nimmt sich jeden Tag eine Stunde neben dem Beruf, in der er Sprachen lernt oder liest, was ihm wichtig ist. Ich erzähle ihm von den vielen Gestalten in mir und was die alle wollen. K. ist dafür Blogmich25 zu machen, ich denke, das ist doch wie Klassentreffen. Man wird sehen. Immerhin kenne ich jetzt seinen Vornamen.

Hinterher noch einmal zum Botanischen Garten. Dort gibt es ein BiotopiaLab, das nur Freitags und am Wochenende geöffnet hat. Es gibt dort eine Ausstellung über den Duft ausgestorbener Pflanzen, der anhand von DNA-Proben rekonstruiert wird. Der Gedanke faszinierte mich, sobald ich ihn las. Dort angekommen dann eher enttäuscht, die Ausstellung ist sehr spärlich und man kann nur einen Duft riechen.

P.S. Da Herr Southpark mich immer so lieb erwähnt, mache ich das jetzt auch mal. Er bloggt jetzt nur noch Dienstags, Donnertags und am Wochenende.

Hamburg, Februar

J. sagt die Verabredung für Samstag ab. Ihre Weigerung sich krank schreiben zu lassen hat ihr eine Lungenentzündung beschert. Ihre Schwester bestand auf einen Arztbesuch und nun ist sie eben doch zu Hause. Mit der Mutter im Stadtpark. Das Laufen ist ihr mühselig, wie jetzt alles mühselig ist. Aber ihre Stimmung ist stabil und das erleichtert mir den Besuch. Die Cafes sind alle in Winterpause, das kenne ich so nicht, vielleicht eine Folge von Corona. Mit Bruder und Schwägerin im Altonaer Museum, eine Ausstellung über Künstlerpostkarten. Ich lerne, dass das Altonaer Museum über 500.000 Bildpostkarten hat. Das war mir nicht bekannt.“Ja, es passieren ja auch immer weniger Geschichten um einen herum“ sagt die Schwägerin als wir über Ideen für Zeichnungen sprechen. Sie ist kaum älter als ich und mir macht das Angst. Ich für meinen Teil brauche ja eine Geschichte, ich kann mit reinen Formen etc. nix anfangen, vielleicht als Handwerksübung, das ja. Die Schwägerin verweist mich auf sketchbook.hamburg, ich solle ein Skizzenbuch machen und da einreichen. Aber ich mag das Postkartenformat und es hält mich auch bei der Stange. Ich hatte mal ein Skizzenbuch angefangen, das schlief aber sehr schnell wieder ein. Ich möchte auch gar nicht Bestandteil einer Ausstellung sein, merke ich dann.

Wieder daheim: Der Italienisch-Kurs geht vielleicht nicht weiter, was mir im Moment ganz recht ist. Die vielen Personen in mir, mit all ihren Interessen zerreiben mich gerade. Auch daraus eine Postkarte gemacht. Später sind mir mindesten noch 2 weitere Personen eingefallen (Schwimmerin, Internetlebensform), die auch zufrieden gestellt werden wollen. Weitere Samen besorgt. Festgestellt, dass die Samen der Dattelpalme mindestens 2-5 Monate brauchen, um zu keimen. Außerdem gelernt: Bäume kommunizieren über Pilze und Springspinnen träumen. (Unbedigt zeichnen: Die träumende Springspinne).

Es herrscht Gedrängel

Nächste Woche München. Ich habe ein Date mit Kerleone. Nach 18 Jahren, man fasst das gar nicht. Grabe alte Posting über blogmich05 aus und die wunderbaren Fotos von Ralph Segert. Immer gedacht, man sollte das 2025 wiederholen, aber sowas lässt sich nicht wiederholen und wenn, wäre es nur wie so ein blödes Klassentreffen. Außer irgendwer hätte eine Idee wie man ein cooles Klassentreffen macht (Will jedenfalls nicht akzeptieren, dass wir jetzt alle alt und uncool sind). Dann noch ein Treffen mit Herrn G. Auch große Freude. Dass neue Leute hinzukommen ist ja vielleicht auch ein Zeichen, dass man noch nicht komplett verstaubt ist.

Der graue Januar

Die Computer meiner _beiden_ Online-Italienischlehrerinnen sind kaputt, weshalb meine Sprachkompetenz nur mäßig voran kommt. Auch ist unklar, ob der Kurs in Hamburg weiter geführt wird. Arabisch endete damals auch so: Es kamen keine Teilnehmer:innen mehr zustande. Mittlerweile unterrichtet jemand anderes an der VHS Trier Arabisch, aber ich kann mir nach 4 Jahren keine anderen Lehrer:innen außer Sarah und Khalid vorstellen. Um mich herum zu viel Krankheit, auf der Arbeit, in der Familie, bei Online-Bekannten. Alles in mir drängt nach Frühjahr und wlll diesen Januar hinter sich lassen. Ich habe auch schon Blumen-Samen bestellt. Fühle mich erschöpft, alles in allem. Was ich nicht kapiere: Warum ich immer noch kein Corona habe, obwohl ich langsam anfange zu schleifen, vor allem, was Restaurantbesuche angeht. Man soll es nicht herbeireden.

Schöne Momente: Bei der Arbeit ein neues Format eingeführt, eine 2-tägige Einführung in die Lehre für Promovierende. Eine dankbare Gruppe, alles sehr motivierte, vielversprechende junge Frauen, das macht mich ganz glücklich. Einen Antrag zur Förderung von eLearning-Modulen gestellt, der hoffentlich bewilligt wird.

Nach Jahren mal wieder in Aachen. Beim letzten Mal am Rande einer Konferenz, nur so durchgehuscht. Jetzt mal mit ein wenig Zeit. Komme im dicksten Schneegestöber an und kämpfe mich mit dem Rollkoffer durch den Matsch. Merke schnell: Wir mögen uns sehr, Aachen und ich. Ich habe den Dom größer in Erinnerung, aber er ist immer noch ausnahmslos schön. Das Antep Sofrasi gibt es auch immer noch und das Essen ist so gut, wie ich es in Erinnerung habe. Eine Entdeckung ist das Internationale Zeitungsmuseum, das lange geschlossen war und nun überwiegen von Ehrenamtlichen betrieben wird. Einer der zwei Hauptamtlichen lässt es sich nicht nehmen an der Kasse zu stehen und jedem Besucher erst mal eine persönliche Einführung in die Geschichte des Hauses und die Ausstellung zu geben. Sehr nett. Auf dem Rückweg im Zug neue Fallbeispiele für die Erste Hilfe ausgearbeitet, Samstag unterrichten wir Mitarbeiter:innen eines Autohauses.

Ich zeichne viel, aber was soll man machen, wenn man keine Blumen pflanzen kann? A. hat sich Keramik-Bemalen zum Geburtstag gewünscht, das schulde ich ihr seit November. Heute Abend also.

Nichts tun

Samstage an denen ich nichts mache oder: Was ich mache, wenn ich mal „nichts“ mache, because of „What a week, uh!“. Zum Bäcker & Schlachter, Küchenschrank aufräumen, surfen, Karten zeichnen, Fotobuch 2022 abholen, Ohrringe shoppen, Nägel lackieren, Haare waschen, The Makani auf Netflix schauen, Vikings auf Netflix schauen, Rückentraining online machen, Tagebuch schreiben, Kochen, Bloggen, Italienisch üben.


(Habe jetzt einen Online-Rückenkurs bei der Krankenkasse gebucht. Die wollen natürlich vor allem Daten sammeln (Wie oft in der Woche machen Sie noch Sport?), aber der Rücken merkt sofort, dass das sehr gut ist. Schwimmen reicht offensichtlich nicht).

Morgen ein Twitter-Blind-Date mit R. Freue mich. Er ist neu in der Stadt und kam der Arbeit wegen nach Trier (so wie ich). Er forscht zu „Rhetorikrelevante Muster von Karikaturen in Satirezeitschriften des 19. Jahrhunderts“. Bin sehr gespannt. Später dann ein Online-Treffen mit Frau Mama, der italienischen Konversation halber. Ich müsste noch ein bisschen lernen, um nicht ganz deppert dazustehen (Das Italienische verlässt mein Gehirn sobald der Unterricht vorbei ist.)